<

>


Flucht ins Frauenhaus

 


Liebe auf den ersten Blick

           Meinen Mann lernte ich im Sommer 1994 kennen. Er machte sozusagen Heimaturlaub in unserer Stadt. Es war Liebe auf den ersten Blick. Unsere Familien waren einverstanden, also verlobten wir uns auf der Stelle und heirateten noch im selben Sommer.

 

 

Ein schlimmes Erwachen

           Ein halbes Jahr später kam ich nach Deutschland. Das war ein schlimmes Erwachen. Das Leben war ganz anders, als ich es mir vorgestellt hatte.  Wir lebten bei den Schwiegereltern und mein Mann war wie umgedreht. Oft kam er nach der Arbeit nicht nach Hause. Wenn er dann mitten in der Nacht kam und ich ihn fragte, wo er denn gewesen sei, beschimpfte er mich. Manchmal war er sogar betrunken und schlug mich.

 

Die Dienerin der Familie

           Ich lernte die Einsamkeit kennen. Außer zur Familie meines Mannes und deren Freunden hatte ich zu niemandem Kontakt. Ich durfte noch nicht einmal aus dem Haus, um einen Deutschkurs zu besuchen. Mir fehlte meine Familie. Meine Schwiegermutter behandelte mich wie eine Dienerin. Nichts konnte ich ihr recht machen. Wenn ich mich dagegen wehrte, dass sie mich rumkommandierte, gab es natürlich Streit. Das Schlimme war, dass mein Mann nicht zu mir, sondern zu meiner Mutter hielt. Er schrie dann: „Was bist du denn für eine Frau, zu was taugst du eigentlich? Warum tust du nicht, was meine Mutter dir sagt? Warum habe ich dich bloß geheiratet?" Meistens schlug er mich dann.

 

Hoffnung auf eine glückliche Familie

           Ich wurde schwanger. Während der Schwangerschaft lebte ich von der Hoffnung, dass sich meine Situation nach der Geburt des Kindes ändern würde. Ich flehte meinen Mann an, uns eine eigene Wohnung zu suchen. Wenn sich meine Schwiegereltern nicht mehr einmischen würden, so hoffte ich,  würden wir eine glückliche Familie werden. Dann würde mein Mann endlich erkennen, dass ich eine gute Mutter und Ehefrau war. Und dann würde er mich wieder lieben.

Meine Schwiegermutter beschloss, mein Kind zu erziehen

           Doch nach der Geburt meines Sohnes wurde meine Lage noch verzweifelter. Meine Schwiegermutter beschloss, mein Kind zu erziehen. Sie verwöhnte es grenzenlos. Sobald ich meinem Sohn etwas verbot, hob sie das Verbot wieder auf und hetzte so mein eigenes Kind gegen mich auf.

          Mir selbst wurde immer wieder damit gedroht, mich in die Türkei zurückzuschicken, natürlich ohne meinen Sohn. Der sollte bei meiner Schwiegermutter aufwachsen.

 

Du musst ihnen gehorchen!

          Ich hatte große Angst, mein Kind zu verlieren. In meiner Verzweiflung wandte ich mich an meine Eltern in der Türkei. Sie sagten mir: „Du gehörst

jetzt in diese Familie, also musst du ihnen auch gehorchen. Tu, was deine Schwiegermutter dir sagt. Tu, was dein Mann dir sagt. Zu uns kannst du jedenfalls nicht mehr.“

 

Flucht ins Frauenhaus

          Als unsere Tochter geboren war, spitzte sich die Lage zu. Beinahe jeden Tag gab es Streit und Schläge. Eines Abends schlug mich mein Mann derart, dass ich starke Prellungen und Verletzungen am Kopf hatte. Er drohte mir, mich umzubringen. In Todesangst floh ich zu meiner Nachbarin. Sie rief den Notarzt – und ich kam ins Krankenhaus. Anschließend wurde mir dieser Platz im Frauenhaus vermittelt. Unter Polizeischutz holte ich einen Koffer mit Kleidern aus der Wohnung. Die Polizisten versprachen mir, dass ich die Kinder in den nächsten Tagen abholen könnte.

           Jeder Versuch, zu meinen Kindern direkt Kontakt aufzunehmen, wurde von der Familie meines Mannes verhindert. Ich musste den Weg über die Gerichte einschlagen. Bis das dann soweit war, waren meine Kinder total verängstigt und aufgehetzt. Man sagte ihnen, dass ich nichts mehr von ihnen wissen wollte, sonst hätte ich ja mal angerufen. Man sagte ihnen: „Deine Mutter ist eine Hure. Sie lebt mit anderen Männern zusammen.“

 

 Der Verlust des Sorgerechts

           Vor dem Richter sagte mein Sohn, er wolle lieber bei dem Vater leben. Meine Tochter kann noch nicht sprechen. Mein Mann, der sehr gut Deutsch spricht, konnte den Richter offensichtlich überzeugen. Das Gericht sprach ihm das Sorgerecht zu.

           Meine Kinder darf ich nur einen Nachmittag in der Woche besuchen. Da meine Kinder in einer anderen Stadt als ich wohnen, reicht die Zeit nicht, sie zu mir nach Hause zu nehmen. Also gehe ich mit ihnen auf den Spielplatz oder wenn es regnet, zu McDonalds. Die Kinder fragen natürlich, warum das so ist. Was soll ich darauf antworten?

 

Eine düstere Zukunft

           Für die Zukunft gibt es für mich zwei Möglichkeiten. Meine Schwiegereltern und mein Mann wollen, dass ich zu ihnen zurückkehre. Dann könnte ich wenigstens bei meinen Kindern leben. Wahrscheinlich würden sie mich dann noch mehr bewachen – aus Angst, dass ich noch einmal weggehe und zwar diesmal mit den Kindern. Kehre ich zu meinem Mann nicht zurück, weil ich mich nicht länger prügeln lassen möchte, verliere ich meine Kinder.

          In einem Monat läuft meine Aufenthaltserlaubnis ab.

 

 


 

          Erzählt von Fatma (Pseudonym),
aufgeschrieben von einer Mitarbeiterin
des Frauenhauses Ludwigsburg, 1997.

Lektorat Regina Boger

           Wie die Geschichte von Fatma
weitergegangen ist, konnten wir 20 Jahre
danach nicht mehr herausfinden.