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Küchenmeister im
„Karpfen“ und in der
„Kaiserhalle“











            Ludwigsburg liegt ihm zu Füßen! Wenn Wolfgang Danner von seinem Balkon im zwölften Stock des Marstallcenters auf die Stadt blickt, öffnet sich ihm ein fast 300 Grad weiter Blick über das Häusermeer, über das Schloss mit seinen Gärten, über die Plätze und die markanten Punkte der Barockstadt und dann geht ihm das Herz auf, denn hier fühlt er sich wohl, hier hat er seine Heimat gefunden und genießt nun seinen wohlverdienten „Unruhestand“.

 

Kindheit und Jugend in Tübingen
          
„Eigentlich bin ich ja ein waschechter Tübinger. Meine Eltern wohnten in einem Haus in der Haaggasse 1 am Marktplatz in Tübingen und verdienten ihren Lebensunterhalt mit Verkauf und Reparatur von Nähmaschinen, Schreibmaschinen und Fahrrädern. Dort wurde ich am 20.11.1931 geboren und verbrachte Kindheit und Jugend in der Universitätsstadt. Nach der vierjährigen Volksschule wechselte ich mit zehn Jahren auf die Keppler-Oberrealschule.
           Mit Erreichen des zehnten Lebensjahres war ja damals in der NS-Zeit auch der Eintritt in das Jungvolk obligatorisch und ich wurde 1941 ein begeisterter „Pimpf“, so wurden die Jungen zwischen 10 und 14 Jahren im Jungvolk genannt. Mit gefielen das Tragen der Uniform, die Kameradschaft, das Singen, Marschieren und Exerzieren, die Ausflüge und die Sommerlager und sogar der Dienst, der zwei Mal pro Woche absolviert werden musste. Wir waren jung, wir waren völlig unkritisch und glaubten an die Propaganda, die uns in den Schulungsabenden vermittelt wurden – und ebenso an die „Siegesmeldungen“, die während des Krieges mithilfe großer Lautsprecher auf dem Schulhof verkündet wurden, zu deren Verlesungen alle stramm stehen mussten. Viele von uns Jungen hatten große Plakate mit den Konterfeis der Generäle Jodl, Gallant, Keitel usw. über dem Bett hängen, ähnlich wie heute die Jugendlichen ihre Stars aus der Film- und Musikbranche. Diese Generäle waren unsere „Helden“.
           Mit 13 kam ich dann im Jahre 1945 in die HJ – ein Jahr früher als üblich, denn die älteren Hitlerjungen waren inzwischen beim Volkssturm oder als Flakhelfer eingesetzt – und musste kurz vor Kriegsende auf dem „Rückzug zur Alpenfestung“ vor den heranrückenden Besatzungssoldaten mitmarschieren. Unsere Einheit kam jedoch nur bis Nürnberg und dann war der Krieg zu Ende. Mutterseelenallein machte ich mich von dort aus auf den Heimweg nach Tübingen, querte die Donau bei Rottenacker und war nach fünf Tagen zuhause.
           Für mich als überzeugter Hitlerjunge war mit dem Kriegsende eine Welt zusammen-gebrochen, ich konnte kaum fassen, dass Deutschland kapituliert hatte. Die Idole unserer Jugendzeit, die Generäle und Kriegshelden sollten nicht so heldenhaft gewesen sein, wie sie uns präsentiert wurden? Ich erinnere mich, dass ich geheult habe, als einige davon nach dem Nürnberger Prozess hingerichtet wurden. Von den Kriegsverbrechen hatten wir nichts mitbekommen, auch meine Eltern nicht, die lange überzeugte Nationalsozialisten waren. Lediglich meine Mutter hat mir einige Jahre nach dem Krieg einen Ausspruch meines Vaters erzählt, der an der Ostfront gewesen und dort mit vielen entsetzlichen Vorfällen  konfrontiert war: „Wenn die Deutschen das alles büßen müssen, was ich an der Front erlebt und gesehen haben, dann überlebt das kein Deutscher.“ Auf die Antwort meiner Mutter: „Ach Paul, das ist doch nur Gräuelpropaganda“, sagte er: „Ich hab es selbst gesehen.“

 

Harte Lehrjahre in der Nachkriegszeit
          
Da ich kein besonders fleißiger Schüler war, hat es mir auch nicht viel ausgemacht, als nach Kriegsende mit dem Einmarsch der Franzosen Ende April 1945 die Schulen in Tübingen ein halbes Jahr geschlossen wurden und ich sozusagen unfreiwillig „frei“ hatte. Doch ich wollte etwas tun. Also stellte ich mich mit meinen dreizehneinhalb Jahren vor den Schlachthof in Tübingen und fragte jeden vorbeikommenden Metzger, ob er einen Lehrjungen brauche.
Der fünfte Metzgermeister, ein Herr Lutz, hat „ Ja“ gesagt und so ging ich bei ihm in die Lehre und war der jüngste Metzgerlehrling zur damaligen Zeit in der Stadt. Die Lehrzeit dort war für mich als Jugendlichen wirklich eine Herausforderung: Zwei Mal in der Woche musste ich um halb vier Uhr morgens und die übrigen Tage um halb sechs mit der Arbeit beginnen, Feierabend war nie vor sieben oder acht Uhr abends. Bevor wir morgens mit der Arbeit beginnen konnten, ging es jedoch zuerst in die Stallungen des Metzgermeisters, der alle erdenklichen Zwei- und Vierbeiner besaß: Tauben und Hühner, Schweine, Kälber und Ziegen, selbst ein Rehkitz und Bienen hatte er, und alle mussten natürlich erst einmal versorgt werden. Anschließend begann die Arbeit in der Metzgerei.
           Hinzu kam in der Besatzungszeit, dass wir etwa eineinhalb Jahre lang jeden Tag – auch sonn- und feiertags – im Schlachthof für die französische Besatzungsmacht schlachten mussten. Täglich wurden dort 80 Stück Großvieh, 80 Kälber und 120 Schweine getötet, die über ein Requirierungsamt von den regionalen Bauern angefordert und angeliefert und dann – halbiert oder geviertelt – als Reparation nach Frankreich abtransportiert wurden.

          Im Schlachthof habe ich im Wansthaus gearbeitet, das ist die Abteilung, wo die Mägen und Gedärme entleert und gereinigt wurden. Eine unangenehme und schmutzige Arbeit, bei der man angesichts des vielen Wassers, das zum Einsatz kam, schon während der Arbeit komplett durchnässt wurde.
          Allerdings hatte die Arbeit dort auch durchaus Vorteile: Rindertalg war in der Zeit nach dem Krieg ungemein wertvoll zum Tauschen gegen Zigaretten, Schuhe und Kleidung. Deshalb nähte mir meine Mutter aus Wachstuch extra Hosentaschen in meine Hose und damit konnte ich an manchen Tagen bis zu vierhundert Gramm Rindertalg heimlich in meinen Taschen verstauen und sie aus dem Schlachthof schmuggeln, was selbstverständlich sehr gefährlich war, da ich immer an den Wachen vorbei laufen und aufpassen musste, damit sie mich nicht erwischten. Nicht selten sind auch Metzger im Gefängnis gelandet, weil sie Fleisch oder Talg aus dem Schlachthof geschmuggelt haben. Zum Glück bin ich nie ertappt worden und konnte so meiner Familie, meiner Mutter und meinen zwei Brüdern, in den schlechten Zeiten helfen. 1946 hatte der Kölner Erzbischof und Kardinal Frings in einer Predigt gesagt, „... da in der Not auch der einzelne wird nehmen dürfen, was er zur Erhaltung seines Lebens und seiner Gesundheut notwendig hat“, (1) was für die Menschen bedeutete, dass „Mundraub zur eigenen Versorgung“ keine Sünde sei. Deshalb bezeichnete man dieses Verhalten im Volksmund guten Gewissens auch als „fringsen“.  

           Eine Anekdote, die mir heute noch Gänsehaut bereitet, wenn ich mich daran erinnere, und die von tiefster Menschlichkeit zeugt, möchte ich an dieser Stelle erzählen:  Eine Tante meiner Mutter lebte damals in den USA am Michigan-See und schickte immer wieder Care-Pakete zu uns und fragte in ihren Briefen nach Dingen, die wir dringend brauchten. Meine Mutter schrieb ihr, dass ich wegen der Arbeit im Wansthaus ständig durchnässt sei und sie vielleicht für mich eine Lackschürze kaufen könne. Und was ich nicht zu hoffen wagte, das  nächste Paket enthielt eine wasserdichte Lackschürze von so guter Qualität, wie man sie zur damaligen Zeit in Deutschland niemals bekommen hätte. Stolz trug ich sie bei meiner Arbeit und ein Metzgermeister bot mir sogar bis zu fünf Zentner Fleisch dafür, doch für kein noch so verlockendes Angebot hätte ich sie wieder hergegeben. Erst 1951 erfuhr ich den wahren Hintergrund dieses Geschenks, als die Tante aus Amerika nach Deutschland zurückkehrte. Sie hatte einem Metzgermeister aus ihrem Wohnort in den USA von meiner Tätigkeit und meinem Wunsch berichtet und er hat nach hinten gegriffen, seine Lackschürze von Haken geholt und gesagt: „ Für meinen jungen Kollegen aus Deutschland!“ und ihr die Schürze für mich geschenkt. Das berührt mich bis heute zutiefst.        
          Aus dieser Zeit ist mir noch eine weitere Anekdote lebhaft in Erinnerung: In den Jahren nach dem Krieg, also 1946 und 1947, fanden auf dem Marktplatz in Tübingen im Sommer Freiluftaufführungen klassischer Theaterstücke statt,

 

die von Stars der Berliner Theater- und Filmszene hier in Tübingen aufgeführt wurden, denn die Schauspieler hatten sich vom zerstörten Berlin in die schwäbische Provinz gerettet, um hier ihre Brötchen zu verdienen. Darunter waren z.B. Christina Söderbaum, bekannt als „Reichswasserleiche“, da sie in fast allen Spielfilmen, in denen sie mitgewirkt hat, ertrunken ist; auch an den Schauspieler  Rudolf Fernau kann ich mich noch gut erinnern. Im ersten Jahr wurde „Romeo und Julia“ aufgeführt, im zweiten Jahr „ Othello“ und ich konnte, da ich ja schon Metzgerlehrling war und jeden Tag früh aufstehen musste, trotz räumlicher Nähe zum Marktplatz die Aufführungen unter der Woche nicht besuchen. Ich lag also schon im Bett und wurde jedoch jede Nacht wieder durch durchdringende Schreie geweckt, wenn Julia lauthals nach ihrem Romeo rief, oder Othello „Ein Schiff, ein Schiff“ verlauten ließ. Diese Ausrufe habe ich heute noch im Ohr.       

          Nach dem Ende der Metzgerlehre im Jahre1948 war ich der jüngste Metzgergeselle in Tübingen, doch da man damals sehr wenig in diesem Beruf verdiente, arbeitete ich erst einmal ein halbes Jahr als Hilfsarbeiter bei einem Gipser und wechselte dann als Hilfskoch in einer Kaserne mit französischen Besatzungssoldaten. Diese Erfahrung veranlasste mich, eine Lehre als Koch bei der Tübinger Gaststätte „Neckarmüllerei“ zu beginnen – und nach zwei Jahren konnte ich auch diese mit Erfolg abschließen.

 

Hinaus in die Welt: Blick über den Tellerrand
           Als Koch hatte ich jetzt die Chance während der Sommermonate für dreieinhalb Monate in der Schweiz zu arbeiten, denn dort wurden Köche gesucht. Und im Rückblick kann ich diese Zeit als eine der schönsten in meinem Leben verbuchen, nicht nur der herrlichen Landschaften wegen, sondern auch, weil ich gut verdient habe.
           Zwei Jahre lang war ich in deshalb während des Sommers in Champéry und eine Saison in Zinnal, damals die höchste Bergstation in der Schweiz. Ich arbeitete als Koch und später sogar als Küchenchef, habe die schweizerische und internationale Küche kennengelernt, denn es wurde dort anders und hochwertiger gekocht als zu Beginn der fünfziger Jahre in Deutschland. Allerdings habe auch ich die einheimischen Köche und Gäste mit schwäbischen Gerichten vertraut gemacht, habe den schwäbischen Kartoffelsalat eingeführt – den schwäbischen Krautsalat, leicht gedämpft und mit Speck zubereitet – und die Kutteln auf schwäbische Art kredenzt. Und meine Kochkünste bezüglich der Kutteln wurden durch die dortigen Gepflogenheiten erweitert: Nun kochte auch ich Kutteln in Weißwein, Kutteln Mailänder Art – mit Tomatensoße – oder geröstet mit Ei.
           Oh ja, und auch Französisch habe ich damals gelernt, was mir heute noch viel Freude macht, denn ich spreche es gut. Mein Küchenchef in Lausanne hat gesagt: „Französisch lernt man auf zwei Arten: Entweder mit dem Dictionnaire unter dem Kopfkissen und oder mit einer Französin auf dem Kopfkissen.“ Ich habe es damals auf beide Arten gelernt.
           Während der Wintermonate kehrte ich nach Stuttgart zurück und arbeitete in verschiedenen Lokalen der Stadt, z.B. auch in der Scheffelstube.

           Eine Anekdote, an die ich gerne zurückdenke, möchte ich hier einfügen. Eines Abends kam sehr spät ein französischer Busfahrer, der französische Jugendliche in die Jugendherberge nach Stuttgart bringen sollte, in unser Lokal. Er hatte erfolglos umkehren müssen, weil in der Jugendherberge niemand anzutreffen war. Aufgrund meiner Kenntnisse der französischen Sprache konnte ich sein Anliegen verstehen. Die Chefin des Lokals rief daraufhin in der Jugendherberge an, aber dort meldete sich niemand. Die Lage schien aussichtlos, aber die Jugendlichen mussten doch untergebracht werden. Daraufhin telefonierte die Chefin mit dem Bürgermeister von Stuttgart und der meinte, dass man in der Jugendherberge notfalls eine Scheibe einwerfen solle, wenn der Herbergsvater nicht öffnet. Denn dieser war als ein spezieller Charakter durchaus in der Stadt bekannt. Ich begleitete also den Bus zur Jugendherberge und als dort nach heftigen Klingeln immer noch niemand reagierte, nahm ich beherzt einen Backstein und warf ihn – mit höchst bürgermeisterlicher Erlaubnis – durch ein Fenster, worauf der Herbergsvater sofort laut und wütend schimpfend erschien und natürlich auch die Polizei verständigte. Jedenfalls aber hatten die französischen Schüler ihre Nachtlager. Der Polizist auf der Wache, bei dem ich am nächsten Morgen erscheinen musste, lachte, zerriss die Anzeige und sagte: „Das geschieht diesem Dackel ganz recht.“ Offenbar war der Herbergsvater auch bei der Polizei als Dickschädel bekannt.

           Von 1956 bis 1958 habe ich drei Jahre in Schloss Salem als Küchenleiter des Internats gearbeitet, der Leiter war ein Prinz von Hannover. Der Besitzer des Schlosses war der Markgraf von Baden, der immer wieder in der Umgebung große Jagdgesellschaften veranstaltete, bei denen ich auch kochen musste. Um etwas Abwechslung in den sehr traditionellen Speiseplan zu bringen, – er hatte einen Eintopf bestellt – machte ich dem Markgrafen den Vorschlag, Spaghetti Bolognese zuzubereiten, ein Essen, das viele Menschen im Deutschland der 1950er Jahre nicht kannten. Ich hatte jedoch durch meine Aufenthalte in der Schweiz das Rezept parat. Der zuerst etwas skeptische Markgraf sagte zu mir nach dem Mahl: „Herr Danner, ich habe die Männer noch nie so essen sehen!“          

          Da ich auf Schloss Salem in den Ferien immer wieder den „Hofkoch“ erfolgreich vertreten habe, durfte ich auch bei der Hochzeit der Tochter des Markgrafen Margerita von Baden mit Prinz Tomislav von Jugoslawien assistieren. An diesen Tag erinnere ich mich noch gut, denn ich begegnete Prinz Phillip von Battenberg, dem Ehemann der Queen Elizabeth, am kalten Buffet und habe ihn bezüglich der Speisen beraten und mich nett mit ihm unterhalten. Noch heute habe ich das persönliche Dankschreiben des Markgrafen für meine Koch- und Hilfsdienste in meiner Sammlung.
Während dieser Tätigkeit und auch als Ferienvertretung traf ich auch immer wieder auf weitere Personen des europäischen Hochadels, wie z.B. Königin Friederike von Griechenland, die die Schwester des Internatsleiters Prinz Georg Wilhelms von Hannover war.
           Auf Schloss Salem habe ich auch meine Frau kennengelernt, mein „Reisepräsent“ vom Bodensee, wie ich sie manchmal scherzhaft vorgestellt habe. Es war Liebe auf den ersten Blick und ich erinnere mich noch genau, wie sie am Fenster stand, mit kariertem Faltenrock bekleidet und zu mir herunter sah, als ich den Weg Richtung Wohnhaus hinaufging, wo wir Angestellten des Internats wohnten. Sie machte den Haushalt bei der Schulärztin und wir hatten unsere Zimmer auf dem gleichen Stockwerk und so konnten wir uns auch ziemlich ungestört nach Arbeitsschluss immer wieder treffen. Am 08.08.1959 haben wir dann in der Schlosskirche in Salem geheiratet.



Zurück im Schwabenländle:
Perfekte Harmonie zwischen Kochkünsten und Künstler

           Meine Zeit am Bodensee endete, als eine neue Hauswirtschaftleiterin im Internat eingestellt wurde und die „Chemie zwischen uns nicht stimmte“, wie man so schön sagt. Also kehrte ich mit meiner Frau nach Stuttgart zurück und wir bezogen eine Ein-Zimmer-Wohnung in Stuttgart-Hedelfingen.

          Zuerst habe ich drei Monate als Koch auf dem Fernsehturm gearbeitet, eine sehr stressige und nervenaufreibende Tätigkeit, und war dann eineinhalb Jahre Küchenchef im Lokal „Münchner Löwenbräu“ in Stuttgart. Doch mein Wunsch war es, mein „eigener Herr“ in einer „eigenen Gaststätte“ zu sein. Von zwei großen Brauereien wurden mir damals ein Lokal „versprochen“ und von der Firma Wulle kam das Angebot, dass ich in Ludwigsburg die Gaststätte „Karpfen“ in der Schorndorfer Straße pachten könne. Und so fuhr ich mit Herrn Hug, einem Mitarbeiter der Firma Wulle, der sich sehr um mein Anliegen bemüht hatte, mit dem Auto nach Ludwigsburg, eine Stadt, die ich damals nur

dem Namen nach kannte. Wir kamen über die Stuttgarter Straße, die damals noch nicht als „Autobahn“ ausgebaut war, fuhren bis zur „Heuer-Ampel“ – heute Stern – und bogen nach rechts in die Schorndorfer Straße ab, wo sich hinter dem Gefängnis nach ca. 300 Metern das Lokal „Karpfen“ befand.  Es war ein gutbürgerliches Lokal mit einfacher Küche, und es gefiel mir sehr, und – was sehr wichtig war – die Pacht für das Lokal und die Miete für die Wohnung darüber waren erschwinglich.
           So wurde ich 1961 stolzer Pächter im „Karpfen“ und das Lokal wurde zu einer „Erfolgsstory“, wie das Gästebuch beweist: Illustre Gäste verkehrten hier, z.B. Horst Wendtland,  Werner Veit, Ivan Rebroff und viele mehr. Denn oft, wenn die Kreissparkasse kulturelle Events in der Stadthalle veranstaltete, kamen die Herren vom Vorstand anschließend mit den Künstlern zu mir ins Lokal.



          Im Jahre 1970 bekam ich dann vom Vorstand des Kolpingvereins in Ludwigsburg das Angebot, das Lokal „Kaiserhalle“ am Karlsplatz als Pächter zu leiten. Die Gaststätte hatte der Verein schon 1959 gekauft, aber der vorherige Pächter hatte gekündigt. Dieses Angebot war natürlich sehr verlockend, zumal das Lokal größer war und der Kolpingverein ein sicherer und verlässlicher Partner war. Und tatsächlich: In den zweiundzwanzig Jahren, in denen ich mit dem Verein zusammengearbeitet habe, ist nicht ein böses Wort zwischen mir den Vorständen des Vereins gefallen. 1971 habe ich dann das Lokal übernommen und habe bis zum Renteneintritt 1992 insgesamt 27 Lehrlinge als Köche ausgebildet, von denen einige Karriere gemacht haben. Meistens hatte ich drei Lehrlinge in verschiedenen Lehrjahren zu betreuen.

          Aber auch die Größe des Lokals war durchaus herausfordernd, denn es bot Platz für insgesamt 240 Menschen. Wir hatten einen großen Saal mit 100, einen kleineren Saal mit 60, die Barockstube mit 30 und das Lokal mit ca. 50 Plätzen. Und wenn dann gleichzeitig verschiedene größere und kleinere Veranstaltungen angekündigt waren, war das für Küche und Service durchaus eine logistische Aufgabe, die ich jedoch mit viel Freude und Elan und einem gut eingespieltem Team gemeistert habe. Der Rekord war: gleichzeitig drei Hochzeiten und ein großer Geburtstag. Der schlimmste Tag des Jahres aber war der Muttertag, denn da hatten alle Gäste auf halb zwölf die Tische bestellt und wollten naturgemäß auch zeitnah bedient werden. Da kam selbst ich manchmal in Stress.

          Täglich bot ich auch einen Mittagstisch an – außer mittwochs, denn da war Ruhetag. Als Küchenchef und Pächter war es auch meine Aufgabe, die Gäste zu begrüßen oder zumindest während des Essens an den Tisch zu kommen und zu fragen: „War älles recht gwä?“ Denn „Feedback“ war mir immer wichtig, mein oberstes Ziel war, dass das Essen schmeckte und die Gäste zufrieden waren.

          Meine Bestseller waren Rahmhackbraten mit Spätzle und Salat, ich bezeichne sie noch heute als „Danners Leibrente“. Immer gingen auch Linsen mit Spätzle und Saitenwürschtle,  selbstverständlich auch Roschtbraten, Jägergeschnetzeltes, das Schwabentöpfle, Kalbsnierle und nicht zu vergessen, die Kutteln. Und je nach Saison gab es natürlich Spargelgerichte im Frühjahr oder Gänsebraten im Herbst.

          Auch in der Kaiserhalle konnte ich viele prominente Menschen begrüßen, wie z.B. Walter Schultheiß, bekannt als Hausmeister in der Krimiserie „Kommissar Bienzle“, und seine Frau, die Schauspielerin Trudl Wulle; den Schauspieler Oscar Heiler, dem „Herrn Häberle“ von Häberle und Pfleiderer, selbst Bill Ramsey und Franz Beckenbauer, der Schauspieler Elmar Gunsch oder die Sängerin Paola und der Komiker Dieter Hallervorden besuchten mein Lokal,  um nur einige VIPS zu nennen, die zu meinen Gästen zählten.



          Die großen Veranstaltungen der Schlossfestspiele fanden damals, als es das Forum noch nicht gab, in der Friedenskirche statt, z.B. Opernaufführungen wie z.B. Fidelio oder der Freischütz. Herr Wolfgang Gönnenwein, der langjährige Leiter der Schlossfestspiele, besuchte auch oft mit den Künstlern nach der Aufführung mein Lokal und so konnte ich namhafte Sänger und Sängerinnen zu meinen Gästen zählen, wie z.B. die Sängerin Nabuko Kamo.
           Da es in der Friedenskirche keine Toiletten gab, fragte mich Herr Gönnenwein, ob die Besucher der Festspiele in der Pause auch die Toiletten des Lokals mitbenutzen könnten, was ich natürlich erlaubte. Zum Dank dafür durften meine Frau und ich kostenlos eine Opernaufführung des „Freischütz“ besuchen und sogar in der Königsloge sitzen.

           Hier in der Kaiserhalle trafen sich natürlich auch zahlreiche Vereine und Gewerkschaften in den Sälen und in der Gaststätte, hielten Sitzungen und Versammlungen ab, feierten Jubiläen,  und veranstalteten Tanz- und Faschingsbälle . Auch die vielen Landsmannschaften, wie z.B. die der Bessarabiendeutschen, der Ost- und Nordsudeten, der Danziger, der Ostpreußen, der Kuhländer und Beskiden tagten regelmäßig in meinem Lokal, hielten hier mehrmals jährlich ihre Vereinstreffen ab und viele ihrer Mitglieder feierten ihre Jubiläen und runden Geburtstage bei mir. Da ich für die Veranstaltungen keine Saalmiete verlangte, belasteten diese Treffen die Vereinskasse nicht.
           Ganz besondere Ereignisse im Ludwigsburger Kulturleben waren auch die Kunstausstellungen, die vielen Vernissagen und Finissagen lokaler Künstler, die die Räume mit ihren Werken verschönerten und wichtige Persönlichkeiten in das Lokal lockten. Aufgrund der wechselnden Ausstellungen hatte ich auch immer die unterschiedlichsten Dekorationen in den Sälen und der Gaststätte.



Ehrenamtlich tätig im Schloss und in der Stadt
           Seit 1992 bin ich nun im Ruhestand und bin seitdem vielseitig ehrenamtlich engagiert. Ich bin Mitglied im Kolpingchor und der Kolpingfamilie und nehme natürlich regelmäßig an den Treffen und den Chorproben und Auftritten teil, bin bei den „Senioren“ des Hotel- und Gaststättenverbandes, in dessen Vorstand ich lange Jahre als Schriftführer tätig war, und bin Mitglied im Deutsch-Amerikanischen Club. Denn meine Liebe zu Amerika rührt von der oben erzählten Anekdote, als ein mir unbekannter Metzger die Lackschürze meiner Tante für mich, den Metzgerslehrling, schenkte. Dieses Erlebnis hat mich auch dazu motiviert, Englisch zu lernen, denn auf meinen Reisen in die USA wollte ich mich mit den Menschen unterhalten können.
           Zehn Jahre lang – von Mitte der 90er Jahre an – haben meine Frau und ich auch vier Mal pro Jahr an vier Abenden Kochunterricht erteilt. Veranstalter war das Evangelische Bildungswerk, die Kurse fanden im Evangelischen Studentenheim in Eglosheim statt. Diese Kochkurse waren sehr begehrt und immer ausgebucht, denn außer am ersten Abend, an dem ich die Speisenfolge vorgab, war „ Wunschkonzert“, d.h. die Teilnehmer durften sich die Gerichte wünschen, die sie kochen wollten. Ich besorgte die Zutaten und die Rezepte, dann wurde gekocht und hinterher die Mahlzeiten in lustiger und geselliger Runde verzehrt. Meine Frau assistierte mir dabei und wir haben alle viel Freude gehabt.
           Im Schloss und in der Stadt mache ich seit April 1992 Führungen auf Englisch, Französisch und Schwäbisch – und natürlich auch auf Hochdeutsch – wenn gewünscht. Gerne schmücke ich meine Ausführungen zur Geschichte Württembergs und ihren illustren Persönlichkeiten mit Anekdoten, denn diese oft wunderlichen oder gar bizarren Geschichtchen halten das Interesse der Zuschauer wach. Und sollten doch mal einige Personen in der Gruppe durch private Gespräche auffallen, dann unterbreche ich meinen Vortrag und sage: „Da muss ich euch kurz was verzähle. I hab geschtern zwei Fraue zughört, da hot oine furchtbar viel gwschätzt. No hot die ondere gfroagt: Was schwätzsch oigentlich so viel? Drauf sagt die erschte: Ich han au so viel zum

sage – und obends will i fertig sei!“ Mit dieser kleinen Geschichte – sie ist aus der Sendung: „Die drei vom Dohlengässle“ – sind alle Zuhörer wieder mit von der Partie.

           Einmal hatte ich eine private Führung auf Englisch mit der amerikanischen Botschafterin und sie überreichte mir als Dankeschön am Ende eine kleine Statuette mit dem Wappentier der USA, dem Weißkopfseeadler.

Und ein andermal, als Herzog Karl von Württemberg mit 120 spanischen Gästen im Schloss weilte, durfte ich 80 Personen auf Französisch führen, das war meine bisher größte Gruppe.
           Bei einer weiteren Führung mit dem Herzog und dem Baron von Rothschild auf Französisch, fragte ich den Herzog: „ Sind sie damit einverstanden, dass ich auch die Schandtaten ihrer Vorfahren erwähne?“ und er hatte zum Glück nichts dagegen. „Sie können gerne die Führung in Deutsch fortsetzen“, meinte dann der Baron Rothschild, was ich auch gerne tat.
           Die ehrenamtlichen Tätigkeiten und die Mitgliedschaften in verschiedenen Vereinen der Stadt bescheren mir ein reges und interessantes Leben trotz meines inzwischen doch recht beachtlichen Alters. Ich bin ein optimistischer Mensch und sehe immer erst mal das Positive, ich genieße es mit Menschen zusammen zu sein, genieße den Austausch und bin immer noch neugierig darauf, Neues zu lernen und auszuprobieren.

Mein Motto ist:
„Du musst auf die Menschen zugehen,
dann kommen sie auch gerne zu dir!“



 

 

Erzählt von Herrn Wolfgang Danner,
aufgeschrieben von Hedi Seibt

 



 

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(1)   Quelle: https://www.erzbistum-koeln.de/kultur_und_bildung/historisches-archiv/schaetze_aus_dem_archiv_1/eine_predigt_mit_folgen_die_bedeutung_des_wortes_fringsen/