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Jeder hat das Recht auf seine Sichtweise

 

          Das Handwerk ist für mich ein Mittel zur Persönlichkeitsbildung. Hier lernt man, die Welt zu verstehen, den Umgang mit Menschen, mit Fehlern und mit Niederlagen. Ich arbeite gern mit dem Körper, ich verstehe die Dinge, indem ich mit ihnen arbeite. Das humanistische Gymnasium war also nichts für mich. Am meisten habe ich Latein und Griechisch gehasst, interessiert haben mich Biologie und Geschichte. Mit 17 habe ich eine Urschrei-Therapie gemacht. Nach einem halben Jahr hatte ich alle Wut auf meine Eltern aus mir herausgeschrieben, auch die auf die Gesellschaft, die mich eingeengt hat. Nach dem Abitur in Stuttgart habe ich viel studiert, aber nichts hat mir gefallen. Ich habe auf dem Bau gearbeitet und dann in einer Schreinerei in Bernhausen. Viel habe ich durch meinen Meister gelernt und viel habe ich mir selbst beigebracht. Durch den Umgang mit Holz habe ich die Materie schätzen gelernt.

           Mich hat es immer in die Welt gezogen. Es war die Sehnsucht nach der Welt und die Sehnsucht nach Erkenntnis, die von den Universitäten nicht befriedigt wurde. Im Grunde war es die Sehnsucht nach der Verbindung mit dem Göttlichen. Im Westen hört sich das arm an. Zum Glück habe ich früh einen spirituellen Meister gefunden, Bhagwan. Ihm bin ich zehn Jahre lang bis zu seinem Tod gefolgt. Nachdem ich den Spirit entdeckt hatte, hat sich alles andere darum gruppiert. 1981 nahm ich Sannyas, das bedeutet Einweihung. Ich wurde ein Sannyasin, ein Schüler Bhagwans. Als er sich Osho nannte und nach Oregon zog, folgte ich ihm auf die Ranch. Dort arbeitete ich drei Monate unentgeltlich, bezahlte aber für Unterkunft und Verpflegung. Das war eine ziemlich teure Angelegenheit. Solange die Kommune in Oregon war, besuchte ich sie regelmäßig. Als Osho zurück nach Poona ging, flog ich dorthin. Während dieser Jahre habe ich in einer Kommune in Stuttgart gewohnt. Dort habe ich viel über Macht und Machtmissbrauch gelernt. Selbst wenn man Macht nicht sucht, sondern sie einem gegeben wird, besteht die Versuchung, Macht zu missbrauchen. Die Osho-Community war ein riesiges Experiment, um zu untersuchen, was geschieht, wenn Frauen Machtpositionen einnehmen. Ich vermute, dass Osho dachte, es gäbe keinen Krieg, wenn Frauen an der Macht wären. Dies hat sich nicht bewahrheitet. Ich habe entschieden, mich nicht in Machtkämpfen mit anderen aufzureiben, sondern
meinen Weg alleine zu gehen. Für mich standen Freiheit und

 

Erzählt von Abheer im Juli 2015,
aufgeschrieben von Regina Boger
Titelbild: Auf dem Milford Track in Neuseeland
Foto: Douglas I. Grant, Auckland

 

 

 

Bewusstseinsentwicklung im Vordergrund. Anfang der achtziger Jahre habe ich an der Disco „Zorba the Buddha“ mitgebaut, die 1984 eröffnet wurde. Wir wollten damit einen Ort schaffen, an dem man zugleich feiern und meditieren kann.

           Lange habe ich nach einem Platz gesucht, an dem ich meine Sehnsucht nach dem Göttlichen mit meinem Beruf verbinden könnte. Ich bin mit dem Motorrad in abgelegene Gegenden der Welt gefahren, nach England, Schottland, Alaska und Südamerika. Schließlich fand ich diesen Platz in Neuseeland. Mich begeisterte die kraftvolle Natur. Das ist wie der Schwarzwald mit exotischen Bäumen direkt am Meer. In Deutschland ist der Wald still. In Neuseeland ist der Wald wild und sehr energetisch. Dort habe ich gefunden, was ich immer suchte. Ich setze mich auf einen Stein, öffne mich in das Kosmische und habe eine Verbindung zu Gott. So einfach war das dort.

           Um herauszufinden, ob ich in Neuseeland leben und arbeiten kann, habe ich eine Zeitlang in einem Futon-Betten-Laden gearbeitet. Die Besitzer habe ich bei den Sannyasins kennen gelernt. Die Arbeit in dem Bettenladen war relaxed genug, um mir vorstellen zu können, in Neuseeland zu leben. Erst einmal bin ich zurück nach Deutschland, genauere gesagt nach Bernhausen bei Stuttgart und habe meine Tätigkeit dort intensiviert, um genug Geld zu verdienen, um mir eine Existenz in Neuseeland aufbauen zu können. Eine Zeitlang habe ich sowohl in Neuseeland als auch in Deutschland gelebt. Als ich genug Geld verdient hatte, um mir ein Haus, eine Werkstatt und ein Stück Land außerhalb von Auckland kaufen zu können, ließ ich meine Maschinen und meinen Haushalt nach Neuseeland verschiffen. Das war 1987, da war ich 26 Jahre alt. Meine Partnerin ist mit ausgewandert. Sie hatte Heimweh und flog ziemlich oft nach Hause. Irgendwann blieb sie in Deutschland, weil sie in Neuseeland einfach nicht glücklich geworden ist. Sie konnte sich mit der neuseeländischen Kultur nicht anfreunden. Es ist schwierig, seine Wurzeln auszureißen und sich woanders wieder zu verwurzeln. Am Anfang neigt man dazu, seine alte Heimat zu glorifizieren. An Deutschland liebe ich die alten Städtchen, ich schaufle mich mit Brezeln voll und esse Pfifferlinge. In Neuseeland gibt es diese superspezielle Natur, das Meer direkt vor mir und diesen Wahnsinnsblick in den energiegeladenen Wald.