Fremd in einer konservativen Gesellschaft


Ein starkes Gerechtigkeitsgefühl

 

          Für jemanden, dessen Familie nicht seit drei Generationen in Asperg lebt, war es schwierig, Anschluss zu finden. Die ersten drei Lebensjahre verbrachte ich im Saarland, dann zog mein Vater aus beruflichen Gründen mit mir nach Asperg. Meine Mutter blieb bei ihren Eltern im Saarland. Er ist Ingenieur und arbeitete lange Jahre Teilzeit, damit er genug Zeit für mich hatte. Als ich ein Kind war, sorgte er wirklich gut für mich. Nach der Schule besuchte ich eine „Tagesgruppe“ in Möglingen. Dort lernte ich eine große Bandbreite an Milieus kennen, denen ich jedoch allesamt nicht angehörte. In dieser Gruppe fühlte ich mich nicht wohl. Auch war ich der Einzige, der ins Gymnasium gehen würde. Da ich nur langsam bedeutsame Freundschaften fand, unterhielt ich intensive Internetfreundschaften. Ab der zehnten Klasse hatte ich mehr Freundschaften in der Klasse. Ich fühle mich als ein spezieller Mensch, der stark an Werten orientiert ist und gern tiefgründige Gespräche führt, die nicht mit allen möglich sind. Oft habe ich das Gefühl, als komischer Mensch wahrgenommen zu werden. Das liegt wohl daran, dass mit mir aus Small Talks schnell riesige politische oder gesellschaftliche Diskussionen werden. Dieses Gefühl der Fremdheit in der konservativen Stadtgesellschaft hat mich politisiert. Ich verspüre ein starkes Gerechtigkeitsgefühl und ein Bedürfnis nach Gemeinschaft und Solidarität.

           Als Leistungskurse wählte ich Spanisch und Geschichte. Spanisch, weil mir diese kommunikative und lockere Kultur sympathisch ist. Meine Lehrerinnen für Spanisch und Geschichte förderten meine Interessen und meine Wissbegierde. Wenn ich an einem Thema interessiert bin, gebe ich 130%. Mein Vater sagt in solchen Fällen, meine Neuronen würde brennen. Ich bin sehr kommunikativ und rede viel, auch über mich und meine Gedanken. Manchmal kommt das bei Menschen arrogant rüber, vor allem wenn sie mich nicht gut kennen.

 

Fridays For Future

           Mit 17 lernte ich die linksjugend [‘solid] kennen. Jeden Monat ging ich zum Plenum nach Ludwigsburg, hörte zu und diskutierte mit. Ein Jahr später wurde ich Mitglied, weil ich etwas bewegen wollte. Anfang 2019 nahm ich an einer der Verbandswerkstätten der Linksjugend in Berlin teil. Von einem Genossen hörte ich, dass es am Bodensee eine Fridays For Future-Gruppe gab, Schüler*innen und Studierende, die sich für den Klimaschutz einsetzten. Das war das erste Mal, dass ich von dieser Bewegung gehört hatte und war sofort elektrisiert. Ich fand heraus, dass es auch in Stuttgart eine Fridays For Future-Gruppe gab. Mir reichte es nicht mehr, nur als Teilnehmer auf Demos eine Weile Parolen zu rufen und dann wieder nach Hause zu gehen. Klimaschutz war schon zuvor ein wichtiges Thema gewesen, aber ich wusste nicht, wie ich mich für ihn einsetzen konnte. Klimagerechtigkeit wurde zu meinem Hauptthema. Mir wurde klar, dass ich mich mit anderen zusammenschließen musste, die sich auch Sorgen um unsere Zukunft machten. Als Erstes gründete ich eine WhatsApp-Gruppe, bestehend aus vier Personen. Nach einem Monat waren es 500. Meine Freunde luden ihre Freund*innen ein und diese wieder ihre und so weiter und so fort. Als Gründer der Ortsgruppe von Fridays For Future war ich am Anfang für alles verantwortlich, inhaltlich wie

organisatorisch. Mir war wichtig, dass mehr Leute Verantwortung übernehmen, da ich nach einiger Zeit sehr erschöpft war. Inzwischen sind wir zu zehnt, die sich die Aufgaben teilen. Wir arbeiten in Teams. Jedes Team hat eine oder einen Hauptverantwortlichen. Machtkonzentration und Überarbeitung sind die Folgen, wenn einer alles macht. Dies habe ich selbst erlebt und Konsequenzen daraus gezogen. Ich achte darauf, dass nicht nur Männer in Erscheinung treten, sondern auch Frauen die Versammlungen leiten, zumal in unserer Gruppe mehr Frauen als Männer sind. Ich habe die Aufgabe des Pressesprechers unserer Ortsgruppe übernommen. Zu meinen Aufgaben gehören der Kontakt zur Presse, zu Gewerkschaften und die politische Repräsentation unserer Ortsgruppe. Durch mein Engagement in der OG FFF habe ich viele Erfahrungen gesammelt.

          Inzwischen gibt es 500 Ortsgruppen von FFF. Jede Gruppe tickt anders, allen gemeinsam sind basisdemokratische Strukturen. Wir sind nicht bereit, irgendeine Partei oder Jungkarrieristen zu pushen. Uns geht es nur um Klimagerechtigkeit. Wer uns unterstützen will, ist willkommen.



Meine Motivation für das Engagement für Klimagerechtigkeit

           Ich möchte Veränderung. Die Frage ist, wie man eine Veränderung bewirken kann. Der parlamentarische Weg ist wichtig, aber auch der außerparlamentarische und der zivile Ungehorsam. Da wir während der Unterrichtszeit demonstrieren, werden wir als Problem wahrgenommen. Manchmal ist ziviler Ungehorsam notwendig, wenn man Dinge nicht über den parlamentarischen Weg lösen kann. Ziviler Ungehorsam ist eine legitime Protestform.

           Dass wir Schule schwänzen, ist ein haltloser Vorwurf. Wir verpassen Unterricht und bekommen deswegen Strafarbeiten. Wir riskieren unsere schulische Zukunft, um das Klima zu retten und werden dafür bestraft. Unser Engagement für das Klima wird bestraft.

           Veränderung geschieht, wenn man Menschen zum Umdenken bringt. Wir erreichen viele Schüler*innen. Vielleicht gehen auch manche mit, weil sie Schule schwänzen wollen. Doch die allermeisten bekommen etwas mit, indem sie Reden anhören und mit anderen diskutieren. Sie bilden sich durch die Klimastreiks sozial und politisch weiter. Mir ist wichtig, dass die Leute selbst denken, für ihre Interessen einstehen und sich zusammenschließen, um diese durchzusetzen. Ich verstehe nicht, wie man so blind sein und Fakten ignorieren kann, die wissenschaftlich belegt sind. Es geht um unsere Zukunft. Wir haben keine Zukunft, wenn die Klimaziele von Paris nicht erreicht werden.

Das Gefühl, etwas verändern zu können

           Ich war zwei Jahre Schülersprecher des Friedrich-List-Gymnasiums Asperg. Dadurch habe ich gelernt, dass man Dinge verändern kann, oft aber

nicht auf die gängige Weise. Man muss unbequem sein, um Dinge zu verändern. Viele Menschen fühlen sich politisch ohnmächtig, deswegen gibt es das Wort „Politikverdrossenheit“ Das Gefühl, Dinge verändern zu können, führt zu einem politischen Bewusstsein und zu einem kollektiven wie individuellen Stärkegefühl. Dabei sind erfolgreiche Aktionen wichtig, damit man erlebt, dass man die Welt verändern kann, gemeinsam und eigenmächtig. In vielen Fällen brauchen wir keine Stellvertreter, die mit Autorität ausgestattet werden, die sie auch missbrauchen können. Selbstermächtigung, Ungehorsam und Gewaltfreiheit sind die wichtigsten Prinzipien von FFF. Wichtig ist zu lernen. Demos anzumelden und zu leiten ist ein Akt zu lernen, dass man seine demokratischen Rechte wahrnehmen kann.

 

Mein politisches Engagement

           Ein weiterer Schwerpunkt meines politischen Engagements liegt bei der Linksjugend [‘solid]. Sie versteht sich als sozialistisch, antifaschistisch, basisdemokratisch und feministisch. Man muss nicht Mitglied der Partei „Die LINKE“ sein, wenn man Mitglied des Jugendverbands ist. Dennoch bin ich seit Mitte Juni 2018 Mitglied der Partei „Die LINKE“, seit dem 4. Juli 2019 Kreisvorstandsmitglied und für den Landesparteitag delegiert. Ich bin auch für den Bundeskongress der linksjugend [‘solid] delegiert.

           Obwohl ich Mitglied der Linksjugend bin, kann ich mir nicht vorstellen, in einer unparteiischen Organisation wie Fridays For Future Parteiinteressen zu vertreten. Die Leute würden mich auslachen. Ich verheimliche nicht, dass ich links bin, aber ich handle natürlich nie im Auftrag der Partei „Die Linke“.

 

Pläne für die Zukunft

           Ich möchte etwas Sinnvolles tun. Deswegen habe ich mich beim Deutschen Gewerkschaftsbund in Stuttgart um ein Freies Soziales Jahr beworben und wurde auf der Stelle genommen. Neben der Klimagerechtigkeit ist mir soziale Gerechtigkeit wichtig. Auf dem Camp der IGM Jugend in Markelfingen fühlte ich mich sofort wohl. Dort traf ich Leute, mit denen ich viele Werte teile.

            Nach dem FSJ möchte ich in Berlin Jura studieren. Ich kann mir vorstellen, auch später durch meine Lohnarbeit politische Arbeit zu betreiben.



 

 

 

 

Erzählt von Markus Moskau,
aufgeschrieben von Regina Boger im Sommer 2019

 

Markus mit einem Freund