Oma, was guckst du?

 Thema mit Variationen

 

1. Neulich an der Tankstelle. Ich stehe in der Schlange vor der Kasse. Als ich dran bin, drängt sich ein junger Mann in Jogginghosen und Kapuzenpulli
     neben mich, hält dem Kassierer zwei Flaschen Gin vor die Nase und wedelt mit einem Geldschein. „Wochenende, Familie, weiß du, da braucht man
     Stoff!“ Ich runzle empört die Stirn. „Oma, was guckst du?“, grinst er Beifall heischend. Der Kassierer lächelt ihm beifällig zu.

 

 

Ich werfe dem frechen Kerl einen strafenden Blick zu. Er bezahlt, grinst und geht als Sieger vom Platz. Ich koche innerlich, aber mir fällt nichts ein, was ich ihm nachrufen könnte.

 

2. Neulich an der Tankstelle. Ich stehe in der Schlange vor der Kasse. Als ich dran bin, drängt sich ein junger Mann in Jogginghosen und Kapuzenpulli
    neben mich, hält dem Kassierer zwei Flaschen Gin vor die Nase und wedelt mit einem Geldschein. „Wochenende, Familie, weiß du, da braucht man
    Stoff!“ Ich runzle empört ... „Oma, was guckst du?“, grinst er ...

 

 

„Ich bin deine Oma? Dann bist du mein Enkel! Das hat mir mein Sohn gar nicht gesagt, dass er einen so großen Sohn hat. Aber der Junge kommt ja so weit in der Welt rum. Da kann man schon das Eine oder Andere vergessen. Und du hast schon Kinder? Dann bin ich ja schon Uroma! Wann bist du geboren? Das Jahr genügt. Und du wohnst auch noch in meiner Nähe. Wie praktisch! Dann kannst du am Samstag vorbeikommen und die Hecke schneiden und den Rasen mähen. Die Wohnung müsste auch mal wieder gestrichen werden. Wie war noch einmal dein Name? Gib mir doch deine Telefonnummer. Warte, ich gebe dir auch meine. … Was rennst du denn jetzt weg? Wir haben uns doch noch gar nicht richtig kennen gelernt!“

 

3. Neulich an der Tankstelle. Ich stehe in der Schlange vor der Kasse. Als ich dran bin, drängt sich ein junger Mann neben mich, hält dem Kassierer zwei
    Flaschen Gin vor die Nase und wedelt mit einem Geldschein. . „Wochenende, Familie, weiß du, da braucht man Stoff!“. „Oma, was guckst du?“ ...

 

 

Ich ramme ihm meinen rechten Ellenbogen in die Seite. Er schreit auf. „Stell dich hinten an, du Hurensohn!“, fauche ich ihn an, „oder verpiss dich!“ Er zieht seine Flaschen zurück und stellt sich ans Ende der Schlange. Der Kassierer schaut mich ängstlich an. Ich bezahle.

 

4. Neulich an der Tankstelle. Ich stehe in der Schlange vor der Kasse. Als ich dran bin, drängt sich ein junger Mann neben mich, hält dem Kassierer zwei
    Flaschen Gin vor die Nase und wedelt mit einem Geldschein. „Wochenende, Familie, weiß du, da braucht man …“ „Oma, was guckst du?“...

 

„Ach, mein lieber Enkel, wie schön dich zu sehen!“, rufe ich, umschlinge ihn mit meinen Armen und drücke ihn so heftig, dass er kaum noch atmen kann, während ich ihm mit einem Absatz auf die Zehen trete. Er jault auf und lässt die Flaschen fallen. Ich lasse ihn los, bezahle und frage: „Enkel, was guckst du?“

 

5. Neulich an der Tankstelle. Ich stehe in der Schlange vor der Kasse. Als ich dran bin, drängt sich ein junger Mann neben mich, hält dem Kassierer zwei
    Flaschen Gin vor die Nase. „Oma, was …?“

 

„Erstens bin ich nicht Ihre Oma, zweitens sind wir nicht per du und drittens sind Sie nicht an der Reihe. Stellen Sie sich bitte hinten an.“ Er stellt sich an das Ende der Schlange. Ich bezahle.

 

 

 

Regina Boger 2020-12-17