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Die Strandpiratin

         

          Jedes Mal wenn sie am Meer war.

          Sie liebt die ergiebigen Schwemmecken, den Spülsaum, die kleinen Buchten, die zum Meer hin von hohen, weichen zum Versinken geeigneten Seegrasgebirgen, die immer ein bisschen nach verwesenden Seesternen und faulender Biomasse riechen, abgeriegelt sind. Wo jede Welle, die es schafft über den fädigen Berg zu lecken, ein weiteres Pfützchen mit etwas Seegras hinterlässt.

           Dort wird sie fündig, dort lagern die Schätze, die sie wie ein Strandpirat aus alten, schlimmen Zeiten birgt.

           Am ergiebigsten sind die Funde nach einem nächtlichen Gewitter. Sie genießt diese Gewitter, das aufwühlende Schauspiel der blitzdurchzuckten Dunkelheit, das bedrohliche Grollen der Brandung, Wellen, die mit elementarer Gewalt auf den Strand klatschen, den Sand wegspülen, in die Hohlkehlen der Felsen schlagen und das Gestein erzittern lassen.

           Am nächsten Morgen ist der sanfte Abhang des Sandstrandes zum Meer hin steil abfallend und das Meer kann und will sein Toben noch eine Weile auskosten, obwohl der Sturm abgeflaut und der Himmel jetzt blankgefegt und blau ist.

           Das ist die hohe Zeit der Strandpiratin. Was alles angeschwemmt wurde.

 Geduldig wandert sie am Spülsaum entlang. Die Augen festgesaugt am schwarzen Band.

           Ein wunderschönes Stück Treibholz, die hohlen, wenn sie trocken sind, silbrig glänzenden Bambusfragmente, ein Stück zerfasertes Seil, ein Angelköder wie ein Fisch geformt, ein Plastikpüppchen, ein Maiskolben, der nach seiner langen Reise übers Meer eine zarte Patina besitzt.

          Und natürlich die braunen Kugeln aus Seegras, von der Brandung perfekt zu Kugeln oder Ovalen geformt, groß, klein, winzig. Sie kann sich gar nicht genug sattsehen und satt sammeln an den perfekten Gebilden. Und welche Freude jedes Mal, wenn der Abriss eines Seegrasbüschels mit der Form einer Miniaturfächerpalme überrascht.

            Sie kann das stundenlang: gehen, staunen, bücken und ihre Baumwolltasche mit den Schätzen füllen.

          Manchmal blitzt schon eine Idee auf, was aus den Funden einmal werden soll.

 

 

Gabriele Scheiffele 2017

 

 

          

          Dieses Gehen, Finden, Stehen ist ihre Meditation. Versetzt sie in eine Art Trancezustand. Sie ist glücklich, zufrieden und sehr eins mit sich und dem Meer.

           Nur wenn sich die Tage am Meer dem Ende zuneigen, wandelt sich das Meditative in pure Gier und ungebremste Sammelwut. Jetzt bloß kein Brett, keinen Ast mit Bohrmuschelhieroglyphen, keinen Agavenblattrand, geformt wie ein Sägefischkiefer, übersehen. Jetzt kommen maßlos viele Funde in die Tasche. Wäre die nächste Bucht, die übernächste, nicht noch ergiebiger?

           Sie beruhigt sich erst, wenn alles bruchsicher verstaut ist und sie selbst am Steuer sitzt.

           Die Beute – sie ist groß.

 

Wieder daheim

           Zu Hause werden die Fundstücke sortiert und in diverse Schubladen, Schachteln, Gefäße aller Art verstaut. In der ganzen Wohnung knirscht es. Jetzt sind die Fundstücke trocken und werfen Sand ab.

           Ein kleiner Gruß vom Strand.

           Und hier warten sie nun sozusagen in den Startlöchern, harren ihrer Bestimmung.

           Die kleine „Fächerpalme“ was soll sie einmal krönen? Die Seegraskugel sieht sich schon schwebend auf nadelspitzem Sauergrashalm balancieren. Passen sie zusammen, die silbrigen hohlen Bambusstängel und die mattge-schliffenen Flaschenscherben?

           Und so lagern die Funde und die Schubladen und Kasten und Kästchen werden von Mal zu Mal voller und die Dinge vibrieren vor Verlangen, dass aus ihnen etwas Schönes wird. Sonst wären sie ja umsonst ihrem natürlichen Schicksal entrissen worden, dem Zerriebenwerden von Wellen, Sand und Sonne, was sie zu Schlick und Sand und Schwebeteilchen im Ozean transformiert hätte.

           So sitzt sie in ihrem Arbeitszimmer und wundert sich, dass sie es so schwer hat mit der Konzentration, dass sie die Überfülle ihrer Sammlung ganz konfus macht, dass sie manchmal

           das Gefühl hat, dass die Dinge schreien: machwasmachwasmachwas .