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Warum bin ich in Ludwigsburg geblieben?

 

1988 bin ich mit meiner Familie, mit Mann und zwei Töchtern, von München nach Ludwigsburg umgezogen. Mein Mann hatte hier den ersehnten Job gefunden.

 Ankommen in Ludwigsburg

          Zunächst wurde das gefundene Haus gründlich renoviert. Es war vor dem Krieg gebaut durch einen Fachmann und für seine Familie: er war Baumeister und dieses Haus sicher nicht sein erstes. Es war so gut durchdacht, dass keine Änderung möglich war – es passte alles zu gut zusammen. Aber nach
50 Jahren war doch so einiges zu erneuern: Elektrizität, Böden, Fenster, Heizung, … das konnte dauern!

          Die ältere Tochter war in der dritten Klasse. Ich stellte mir vor, der Wechsel in eine weiterführende Schule wäre leichter, wenn sie die vierte Klasse hier besuchen würde. Die jüngere Tochter war drei und sollte meiner Meinung nach keinen Wechsel im Kindergarten erleben. Mehrmals umziehen wollte ich auch nicht, so blieb das Abenteuer, in einer Baustelle zu leben.

          In den Schulferien zogen wir nach Ludwigsburg. Die Möbel wurden eingelagert und im Garten stand ein gemieteter Wohnwagen. Die ersten zwei

Wochen verbrachten wir auf Luftmatratzen in einem sonst leeren Zimmer. Doch als der Baustellenstaub auch in den letzten Winkel drang, wurde der Wohnwagen bezogen.

           Im Keller befand sich ein noch funktionierender Wasserhahn und das WC im Erdgeschoss wurde auch am Laufen gehalten. Einmal in der Woche ging ich mit den Töchtern ins Schwimmbad: dort konnte man ausgiebig warm duschen! Daneben befand sich auch ein Waschsalon für die Wäsche der vierköpfigen Familie.

           Wir hatten Glück mit dem Wetter. Erst im November richtete ich ein Kellerzimmer ein als Wohn- und Schlafraum für uns vier plus dem Terrarium mit den Rennmäusen. Gottseidank war die Heizung schon in Betrieb und auch die Kleidung aus den Koffern reichte für kaltes Herbstwetter.
          Ein großes Fest gab es eine Woche vor Weihnachten, als wir unsere Möbel nachkommen lassen konnten! Und danach wurde ein kleiner Welpe der fünfte Hausbewohner!
           Erst zwei Jahre später war die Renovierung wirklich abgeschlossen und manches könnte auch heute noch Erneuerung vertragen!
  Es gab einen Moment, an dem ich hätte zurück gehen können, zurück nach München, wo ich geboren bin, wo ich die ersten gut 40 Jahre meines Lebens verbracht habe. Ich bin geblieben.

          1997 starb meine Mutter und hinterließ mir und meinem Bruder ein hübsches Haus in München mit großem Garten. Beinahe gleichzeitig wurde die Scheidung von meinem Mann ausgesprochen. Damals wäre Gelegenheit gewesen, Ludwigsburg den Rücken zu kehren. Vor allem die jüngere Tochter, die mit erst gut drei Jahren München verlassen hatte, wollte immer zurück nach München. Doch ich blieb. Warum?

          

          In knapp zehn Jahren hatte ich in LB mehr Freunde und Bekannte gewonnen, als ich in München je hatte. Wir wohnten in einem Traumhaus, nicht zu groß und nicht zu klein, mit einem für schwäbische Verhältnisse riesigen Garten. Es war auch Platz für Hund und Katze.

           Und die Stadt: Da fand ich alles was ich brauchte: Volkshochschule und Sportvereine, Kino und Kneipen, Einkaufsmöglichkeiten und Weiterbildung. Das einzige was fehlt – Seen und Hochgebirge – war mir nicht so wichtig.

 Als mich meine Münchner Freundin besuchte, zeigte ich ihr meinen neuen Lebensraum: Wir gingen in die Stadt, auf den Markt. Sie war beeindruckt:

          Während auf dem berühmten Viktualienmarkt lediglich Bayerisches zu finden war, kamen wir nach Hause mit Käse aus der Normandie, Oliven aus Griechenland, Orangen aus Sizilien, Lavendel und Seife aus Südfrankreich, Schinken aus Spanien, Salami aus Italien, Wein aus Mundelsheim, Linsen von der Alb und Maultaschen, hausgemacht. Alles war frisch, nicht eingeschweißt und oft von Landsleuten angeboten. Man fühlt sich wie im Urlaub.

           Wir machten eine Wanderung durch die Weinberge, von Mundelsheim nach Besigheim – die schwäbische Provence. Der Keltenfürst von Hochdorf und die Kelten vom Hohenasperg sind weltweit bekannt. Das ist ebenso der Hohe Asperg mit dem dort inhaftiert gewesenen Schubart – “die Gedanken sind frei”.  Und sie werden frei bei einer Umrundung dieses Tafelbergs.

          Auch das Theater im Clussgarten hatte Bestand vor den verwöhnten Großstadtaugen.
           In Ludwigsburg kennt jeder den Märchengarten im Blüba und jeder Besuch dorthin lohnt sich auch für Touristen, ganz abgesehen vom großen Barockschloss mit den phantasievollen Führungen und interessanten Museen.

Das alles gibt es in nächster Nähe! In München muss man viele Kilometer und vor allem viel Zeitaufwand in Kauf nehmen. Hier liegt alles dicht beieinander.

           Dabei gibt es noch andere Attraktionen in erreichbarer Nähe: die Burg Lichtenstein, Burg Beilstein mit den Raubvögeln, Bietigheim und Markgröningen mit den großen Fachwerkgebäuden, den Michaelsberg und vieles mehr.

           Um von München ins Gebirge zu kommen, steht man oft Stunden im Stau; in den Seen kann man erst schwimmen, wenn man einige Meter über Surfbretter geturnt ist. Wenn man in München Freunde am anderen Ende der Stadt besuchen wollte, brauchte man oft eine Stunde mit dem Auto – ohne Stau! In Ludwigsburg sind es zehn Minuten. Freunde und Bekannte im größeren Umkreis waren auch gut zu erreichen. Dabei lernte ich  die Umgebung kennen und schätzen.

           Nicht nur das Haus mit dem großen Garten, die Freunde, die Freunde der Kinder, hielten mich. Was man in München, in der großen Stadt suchen muss, hat man in Ludwigsburg vor Augen. Es ist überschaubar und durch die Studenten der verschiedenen Hochschulen lebendig und offen, dabei groß genug für Vielfalt. Es ist leichter in dieser „kleineren“ Stadt am Geschehen teil zu nehmen und mit zu gestalten.

           Ist es ein Wunder, dass ich geblieben bin?


 

 

Charlotte, 2. Dezember 2015

Titelbild: Venezianische Gruppe
auf der Treppe von Schloss Favorite
Foto:
Jasmin Brosch, Frickenhausen