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Ludwigsburg

 

Ludwigsburg als Kind in den 50er Jahren war prima

           Wir wohnten in der Weststadt, dort gab es große Gärten, wenig Verkehr und viele Kinder in der Straße. Nachmittage, an denen wir in einem der Gärten oder auf der Straße spielten. Kinderheim im Gartenhaus war eines meiner Lieblingsspiele, Indianer, Völkerball abends auf der Straße, Rollschuhlaufen, Gummitwistolympiaden,  Verstecken.

          Im Herbst sammelten wir Kastanien und verkauften sie an den Besitzer einer Jagd, im Winter fuhren wir Schlitten auf den Feldern und zum Muttertag pflückten wir Wiesenblumen. Alles konnten wir alleine erreichen, die Weststadt war unser Revier.

          Jede Woche kam der Bücherbus und ich las mich durch alle Regale. Von Kalle Blomquist über Gisel und Ursel bis zu den unglaublich spannenden Geschichten über die fünf Freunde von Enid Blyton gab es alles.

           Der Schulweg war lang genug, um allerlei Abenteuer zu erleben und Wichtiges mit den Freundinnen zu besprechen und niemals wären die Eltern auf die Idee gekommen, uns zu begleiten oder gar mit dem Auto zu fahren, das wir im Übrigen auch nicht hatten. Wir hatten auch keinen Fernseher zuhause und darum war es immer wieder ein besonderes Ereignis, wenn wir bei einer Freundin zuhause samstagnachmittags Fury oder Lassie anschauen durften.

Ludwigsburg als Jugendliche in den 60er Jahren war schwierig

           Eine Disco, zwei Eisdielen, seit kurzem das Kulturzentrum, die Weinstube Klingel, in der wir manche Freistunde verbrachten, das war‘s auch schon.

          Mit 14, gleich nach der Konfirmation kam die Tanzstunde. Nach acht Jahren in reinen Mädchenklassen stand uns plötzlich eine Klasse Jungen gegenüber und es war nicht einfach, in Kontakt zu kommen. Sonntags gingen wir zum Tanztee und übten Tanzen und Kontakt.

 

 

Barbara, 2. Dezember 2015
Titelbild: Peter Pöschl

 

           Mit 16, in der Oberstufe, planten wir die Weltreise nach dem Abitur, träumten von Berlin oder London als Wohnorte, dort, so kam es uns vor, war das volle, bunte, spannende Leben zu finden.

              Dort gab es Hippies, flower power, Musik, Demos, Kommunen und Bewegungen, die alles neu dachten. Inzwischen hatten wir einen Fernseher zuhause und ich schaute fasziniert die Sendungen über die Beatles, die Demonstrationen in Berlin und Paris.

           Irgendwann in dieser Zeit kamen wir auf die Idee, ein Stück von dieser Welt nach Ludwigsburg zu holen. Wir, das waren fünf Freundinnen aus der Klasse.  Wir legten unser Taschengeld und das, was wir mit Nachhilfestunden und anderen Jobs dazu verdienten zusammen und mieteten in der Seestraße

ein kleines billiges Zimmer. Hinterhof, über eine Außentreppe und -galerie zu erreichen. Wir nannten es Projekt. Der Name kommt mir heute etwas absurd vor, aber damals gab es in den Schulen keinen Projektunterricht und der Begriff war überhaupt noch ziemlich unverbraucht. Wir möblierten unser Projekt mit alten Möbeln von unseren Dachböden, hängten Plakate und Bilder auf, und hatten einen Treffpunkt, der etwas von dem hatte, wovon wir träumten. Räucherstäbchen dufteten, es gab Tee und manchmal Bier oder Wein .

           Wir lasen die Bücher von Beauvoir und Sartre, Camus, Ingeborg Bachmann und Peter Handke und alles was neu und spannend war und diskutierten über Gott und die Welt, über den Sinn des Lebens, Politik und unsere Reise- und Zukunftspläne.

           Nach dem Abitur zerstreute sich die Gruppe, das Projekt war beendet.

 Ich blieb – nicht ganz freiwillig – in Ludwigsburg und kehrte nach mehreren Abstechern in die nähere Umgebung immer wieder zurück. So bin ich schließlich das geworden, was ich in den 60ern ganz bestimmt nicht werden wollte: eine echte Ludwigsburgerin in einer inzwischen zum Glück ziemlich bunten und lebendigen Stadt.


Die Weststadt