Elke Mahle, Buchbindemeisterin

Ein Leben am Marktplatz

 

       Elke Mahle kann mit Fug und Recht von einer Buchbinderdynastie sprechen. Sie ist in der vierten Generation Buchbindermeisterin am Marktplatz Ludwigsburg. Der Urgroßonkel Wilhelm Pfitzenmaier war Buchbindermeister, Innungsobermeister und Stadtrat. Er gründete 1896 im Haus Marktplatz 2 eine Sortimentsbuchbinderei mit einem Papier- und Schreibwarengeschäft. Nach seinem Tod übernahm sein Neffe Gustav Mahle, der Großvater Elke Mahles, Werkstatt und Laden. Auch er Buchbindermeister, Innungsobermeister und Träger des Silbernen Ehrenkreuzes des Bundes deutscher Buchbinder-Innungen. Seine Tante Elena Pfitzenmaier verkauft ihm zwar die Buchbinderwerkstatt, aber nichts das Haus, deswegen kauft er zusammen mit Ehefrau Maria 1957 das Haus Nr. 3, gleich nebenan. Für den Neubau der Werkstatt lassen sie das Hinterhaus abreißen. Im Zug des Neubaus bauen sie auch den Laden um und ziehen 1963 in das eigene Haus. Als Gustav 1975 stirbt, leitet seine Frau Maria gemeinsam mit ihrem Sohn Manfred den Betrieb. 1976 übernimmt ihn Manfred. Auch er Buchbindermeister, Innungsobermeister, Träger des Silbernen und Goldenen Ehrenzeichens des Bundes Deutscher Buchbinder-Innungen.

Alle helfen beim Werkstattbau

??. Manfred Mahle in der neuen Werkstatt

 

Aufgewachsen zwischen Werkstatt und Laden

     Seine Frau Gudrun arbeitet im Laden, er in der Werkstatt. Die drei Kinder wachsen zwischen Laden und Werkstatt auf. Der Weg in den Kindergarten ist kurz, sie müssen nur den Marktplatz überqueren und schon sind sie bei Tante Lore im Hinterhaus der Oberen Marktstraße 3. Aufpassen müssen sie dennoch, weil zu dieser Zeit der Marktplatz als Parkplatz für Autos dient. Wenn der Laden die Mutter beansprucht, kümmert sich der Vater um die Kinder und unterbricht seine Arbeit. Die Kinder wissen, dass sie die Maschinen nicht berühren dürfen und halten sich daran, ansonsten sind die Werkstatt und der Laden ihr Revier, in dem sie sich bewegen dürfen. Elke ist am liebsten in der Werkstatt. Sie findet alles interessant, was der Vater dort macht. Kein Wunder, dass sie in die Fußstapfen des Vaters treten will. Die Mutter ist dagegen, der Vater auch. Der Vater, weil der Beruf körperliche Kraft erfordert, Papier ist schwer. Die Mutter, weil sie befürchtet, dass es in der Ausbildung Konflikte zwischen Meister und Lehrling geben könnte, welche die gute Vater-Tochter-Beziehung belasten könnte. Doch dem ist nicht so. Vater und Tochter verstehen sich ausgesprochen gut, so gut, dass es nie zu einem ernsthaften

Streit kommt. Elke muss zwangsläufig bei ihrem Vater in die Lehre gehen, da Buchbinder ungern und deshalb selten Kinder von Kollegen ausbilden. Sie könnten ja Betriebsgeheimnisse ausplaudern. Den Konflikt erlebt sie in der Berufsschule. Auch ihr Werkstattlehrer in der Johannes-Gutenberg-Schule in Stuttgart ist nicht begeistert, wenn Kinder von Buchbindermeistern seinen Unterricht besuchen. Sie seien nicht mehr formbar, meint er, nicht mehr formbar durch ihn.

     Dennoch hält sie durch und schließt die Ausbildung sehr gut ab. Weil sie einen sehr guten Hauptschulabschluss und eine sehr gute Gesellenprüfung abgelegt hat, wird ihr nachträglich der Realschulabschluss anerkannt.

     Ihre Schwester und ihr Bruder fühlen sich zu der kaufmännischen und betriebswirtschaftlichen Seite des Betriebs hingezogen. Folgerichtig lässt sich ihre Schwester Ute zur Einzelhandelskauffrau und später zur Handelsfachwirtin ausbilden, ihr Bruder Klaus wendet sich der Betriebswirtschaftslehre zu und wird Diplom-Betriebswirt.

     1944? Manfred Mahle fährt mit seinem Roller auf dem Marktplatz.
Im Hintergrund sieht man Tarnbäume.

     Vor der Renovierung

     Großbaustelle Marktplatz

     Der Marktplatz nach der Renovierung

     Drei Generationen Marktplatz

Mutter Gudrun, Tochter Elke und Großvater Gustav Mahle  in der Werkstatt. 1972.

 

 

Elke Mahle ist die geborene Handwerkerin. Ihr gefällt, dass sie aus lauter Einzelteilen ein schönes Buch machen kann und zwar mit den eigenen Händen. Dazu gehört auch, dass sie selbst mit Ölfarbe und Terpentin sogenannte Buntpapiere herstellt. Dies sind Öltunkpapiere oder marmorierte Buntpapiere. Dass sie diese Techniken beherrscht, muss sie sowohl in der Gesellenprüfung als auch in der Meisterprüfung (1997) nachweisen. Ihr Vater bringt ihr die alten Handwerkstechniken bei wie die Handvergoldung von Büchern, die sie sonntags übt, bis sie sie beherrscht.





 

Die Digitalisierung setzt dem Buchbinder-Handwerk zu

     Vater und Tochter Mahle arbeiten bis 2001 einträchtig in der Werkstatt zusammen. Die Mutter betreibt den Laden mit Schreibwaren und Büroartikeln. 2001 fällt die Mutter im Laden tot um. Nun ändert sich alles. Entscheidungen müssen gefällt werden. Wie kann es weitergehen? Wer übernimmt den Laden? Kann der Vater die Werkstatt alleine betreiben? Schließlich entscheiden Vater und Tochter, dass die Tochter den Laden übernimmt. Zu dieser Zeit nehmen die Aufträge der Behörden in Folge der Digitalisierung der Verwaltungen ab, sie lassen ihre Dokumente nicht mehr binden und der Werkstatt gehen wichtige Aufträge verloren. Elke Mahle bedauert besonders, dass nun die Sprungrückenbücher wegfallen. Mit dieser Einbandart wurden vor allem Geschäftsbücher, Geburts-, Eheschließungs- und Sterberegister gebunden. Aufgeschlagen bilden diese Bücher eine plan liegende Fläche, so können gegenüberliegende Seiten bis zum Falz beschrieben werden. Der Niedergang des Buchbinderhandwerks zeichnet sich ab. Die Buchbinderei Mahle ist von Beginn an eine Sortimentsbuchbinderei, die den gesamten Bereich des Handwerks abdeckt: Bindung von Loseblattsammlungen und Zeitschriften, Gästebüchern, Fotoalben, Pappbüchern, Beschriftungen, Pressvergoldung, Buchrestauration und Lederprägung wie die Bürgermedaille der Stadt Ludwigsburg. Dadurch hat die Werkstatt genug Aufträge.

     Elke Mahle übernimmt 2003 schweren Herzens den Laden, denn sie ist mit Leib und Seele Buchbinderin. Sie gestaltet das Sortiment um, reduziert das Sortiment um Artikel des Büro- und Schulbedarfs, was sie einige Kunden kostet. Dafür erweitert sie es um die Papeterie, Karten und ausgewählte Zeitschriften. Mit der Zeit gewinnt sie auch dem Laden etwas ab, wächst in die Rolle hinein und fühlt sich zunehmend im Laden wohl. Die Werkstatt besteht ja weiter und sie baut eine Stammkundschaft auf, welche die ausgesuchte Qualität ihrer Produkte schätzt.

     Der Vater arbeitet bis zu seinem Tod im Dezember 2020 in der Werkstatt. Sein Tod ist für Elke Mahle ein schwerer Schlag. Sie verliert nicht nur ihren Vater, sondern muss auch die Werkstatt schließen. Neben der Arbeit im Laden beendet sie die Aufträge, an denen er noch gearbeitet hat. Sie ist zwar etwas  aus der Übung, aber mit Können, Fleiß und Willenskraft  führt sie seine Arbeit zu Ende. Mein Vater könnte stolz auf mich sein, sagt sie. In die Werkstatt geht sie ab und zu, wenn sie für sich etwas gestalten will.

 


Die Mahles und die Feuerwehr

     Wenn man von der Familie Mahle spricht, darf man die Freiwillige Feuerwehr nicht vergessen.  Der Firmengründer Wilhelm Pfitzenmaier war Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr Ludwigsburgs, ebenso der Neffe Gustav Mahle, dessen Sohn Manfred und natürlich sein Sohn Klaus. Für uns war das immer selbstverständlich, sagt Elke Mahle, die Handwerker fühlten sich für die Sicherheit der Stadt verantwortlich. Wir sind damit aufgewachsen, dass unser Vater bei 


 

Laden unter den Arkaden

 

     Der Marktplatz gilt als die gute Stube der Stadt. Ist es nicht ein großes Privileg, hier einen Laden zu haben? Früher hätte sie uneingeschränkt ja gesagt. Heute nicht mehr, bemerkt Elke Mahle mit einem bitteren Unterton. Ja, sie liebt den Marktplatz, keine Frage. „Früher“ heißt für sie: vor der Umgestaltung des Marktplatzes, als noch Autos parkten und die Leute zum Einkaufen zum Marktplatz gingen. Früher gab es viele Läden. Heute sind es nur noch vier, zwei Apotheken, aber acht gastronomische Betriebe. Zu viele, meint Elke Mahle. Der Platz würde vor allem touristisch vermarktet, an die Einzelhändler denke die Stadtverwaltung so gut wie gar nicht. Der Einzelhandel auf dem Marktplatz wird von der Stadtverwaltung nicht wahrgenommen. Der Marktplatz gilt als 1A-Lage, aber das gilt nur für die Gastronomie, nicht für die Läden. Die Gastronomie darf ihre Terrassen auf dem Marktplatz betreiben, wobei der Marktplatz öffentliches Gelände ist. Ich darf nur Kartenständer unter den Arkaden aufstellen, weil dies  mein Privateigentum ist , aber den

 

 


 

 

 

     Aber der Wochenmarkt ist ihr wichtig. An diesen Tagen kommen die meisten Kunden zu ihr in den Laden. Dabei sind auch die Schaufenster wichtig. Viele Leute schauen die Auslagen beim Flanieren an und kommen dann in den nächsten Tagen in den Laden. Sie möchte trotz der Schwierigkeiten noch lange weitermachen. Die Pandemie ist schwierig, weil sie den Laden fünfeinhalb Monate schließen muss und dadurch zum Nichtstun verurteilt ist. Doch dann

 


Bildunterschriften bringe ich nach der Bearbeitung der Bilder an.

 

 

125 Jahre Buchbinderei Mahle

 

Die Buchbinderei wurde vor 125 Jahren gegründet. Dass ein Handwerksbetrieb solange in einer Familie betrieben wird, komme nicht häufig vor, meint die IHK, das müsse gefeiert werden. Ja, denkt Elke, das muss gefeiert werden. Doch durch den Tod des Vaters und die  Corona-Pandemie vergeht ihr die Feierlaune. Elke Mahle sieht von einer Feier ab, vorerst. Doch die IHK lässt nicht locker. Allerdings

 

 

 

Regina Boger nach Gesprächen mit Elke Mahle und Daten von

 

Dr. Albert Sting, Geschichte der Stadt Ludwigsburg von 1945 bis zum Schlossjubiläum 2004, Bd. III, Ludwigsburg 2005

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Manfred Mahle in der Werkstatt

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Elke Mahle in der Werkstatt


Feueralarm in Windeseile in seine Uniform schlüpfte und zur Feuerwehr auf dem Rathausplatz rannte. Wir Kinder begleiteten ihn begeistert. Als die Feuerwehr  in die Marienstraße verlegt wird, überlegt er, wie er am schnellsten dahin kommen kann. Er kommt zu dem Schluss: Mit dem Fahrrad. Denn auf dem Hinweg geht es bergab und auf dem Rückweg kommt es nicht mehr auf jede Minute an. Nach 38 Jahren Zugehörigkeit wird er von der Kreisfeuerwehr im Schloss mit einem Festakt verabschiedet.


Marktplatz darf ich im Gegensatz zur Gastronomie nicht benutzen. Auf der anderen Seite stellen manche Marktplatzbesucher die städtischen Stühle unter die Arkaden, also auf mein Privateigentum und hinterlassen Bierdosen, Kondome und Pizzaschachteln. Dafür fühlt sich die Stadtreinigung nicht verantwortlich, wenn sie morgens den Marktplatz kehrt. Es handelt sich ja um Privateigentum. Am Schlimmsten aber sind die anderen Hinterlassenschaften der Marktplatzbesucher. Im Sommerhalbjahr 2017 führte ich eine Strichliste: 42 Mal waren die Scherengitter vor dem Laden mit menschlichen Ausscheidungen verunreinigt. Das war früher nicht in diesem Maße der Fall, als es weniger Gastronomie und mehr Läden gab. Ich stelle eine zunehmende Verrohung der Sitten fest. Dies zeigt sich auch am Marktplatzfest. In den ersten Jahren war es klein und familiär. Dann wurde es auf drei Bühnen erweitert. Dadurch kommen zu viele Leute und es ist zu laut. Ich fliehe vor dem Marktplatzfest nach Neckarweihingen. Am nächsten Tag darf ich dann die Fäkalien und das Erbrochene unter den Arkaden und in den Scherengittern beseitigen. Zuviel Kommerz, zu wenig  Stadtkultur, seufzt Elke Mahle.


nutzt sie die Zeit für ihre Hobbys: Radfahren, lesen, puzzeln. Und sie macht, wozu sie noch nie Zeit gehabt hat: Sie unternimmt Ausflüge nach Lauffen, Schorndorf, Schwäbisch Hall, nach Besigheim, zu den Felsengärten und  ins Remstal. Nun  hat sie Muße, das Leben außerhalb des Ladens und der Werkstatt zu genießen. Doch sie ist auch  froh, als sie den Laden wieder öffnen darf.

 


 

 

hat sie am Gründungstag, dem 1. Oktober, keine Zeit.  So genau muss man es mit dem Datum unter den besonderen Umständen auch nicht nehmen. Die Feier muss ja nicht auf den Tag genau stattfinden. Mitte oder Ende Oktober 2021 wäre auch ein guter Zeitpunkt. Dann fallen ihr 50. Geburtstag und das Firmenjubiläum zusammen. Und darauf freut sich Elke Mahle, Buchbindermeisterin unter den Arkaden in vierter Generation.

 

Wörtliche Rede ist kursiv gesetzt.

 






Mahle Gustav Buchbinderei PapierHdlg.

Ein Leben am Marktplatz

Elke Mahle, Buchbindemeisterin