Garten ist Kampf

            Meine größten Feinde sind Schnecken. Zuerst hatten sie zwölf frisch gepflanzte Tagetes über Nacht verputzt und nur Stängel übrig gelassen, die aussahen wie eine Truppe Ritter von der traurigen Gestalt. Aus denen würde nichts mehr sprießen. Von meinem gehätschelten Rittersporn stand nur noch eine Blütenrispe. Dann machten sie sich über die beiden Bio-Zucchini-Setzlinge her. Über beide! Wenn sie wenigstens einen übrig gelassen hätten, aber nein, es mussten beide sein.

          „Was machst du gegen sie?“, fragte ich Magdalena, eine erfahrene Gärtnerin.

          „Ich nehme die Hacke und mache kurzen Prozess!“ Ich schaute sie irritiert an. „Garten ist Kampf“, zitierte sie eine Garten-Koryphäe, deren Namen ich vergessen habe.

           Meine pazifistische Grundhaltung hielt mich von dieser brutalen Vorgehensweise ab. Ich sammelte die Schnecken ein und warf sie mit Schwung über die Hecke auf die Straße, in der Hoffnung, sie würden den Weg zurück nicht finden, austrocknen oder von einem Auto überfahren werden. Vergeblich. Entweder kamen sie tatsächlich zurück oder sie vermehrten sich in Windeseile. Nun machten sie sich über die Erdbeeren her. Wenn sie Efeu oder Giersch gefressen hätten, wäre ich zu einer friedlichen Koexistenz bereit gewesen, doch sie waren nicht verhandlungsbereit. Kaltblütig vertilgten sie eine Erdbeere nach der anderen. Übrigens teuer bezahlte Bio-Ware.

          Meine Wut überstieg nun meine pazifistische Grundhaltung. Erbittert griff ich zur Hacke. „Wer nicht hören will, muss fühlen“, sprach ich, nahm sie ins Visier, hob die Hacke, ließ sie nach unten sausen und schaute weg. Bei den Nacktschnecken war ich mitleidlos, aber die Bänderschnecken mit den hübschen geringelten Häuschen verschonte ich. Dennoch fühlte ich mich wie eine verrohte Schlächterin, wenn auch nur Schneckenschlächterin.

           An einem warmen Sonntagnachmittag stand ich unter dem Zierahorn und badete meine Augen in dem wohltuenden Grün seiner Blätter. Zuerst traute ich meinen Augen nicht. Auch nach mehrmaligem Blinzeln sah ich immer dasselbe Bild: An der Unterseite eines Asts klebte eine Bänderschnecke mit dem Häuschen nach unten.

 

 

Regina Boger im Juni 2021

          Was macht die Schnecke auf dem Baum? Und: wie kommt sie da hoch? Meine Recherche im Internet ergab: Schnecken verfolgen ihre Beute bis auf Bäume. Welche Beute?, fragte ich Jürgen, den Biologen.

Vielleicht Eichhörnchen?, fragte er zurück und schickte per WhatsApp das Bild einer Horrorschnecke. Aus ihrem weit aufgerissenen Maul blitzen drohend vier Reißzähne. Ihr Anblick verfolgte mich bis in meine Träume.      

           Der Jasmin vertrieb mit seinem süßen Duft die Alpträume und löste Wohlbehagen in mir aus. Nach dem Frühstück düngte ich mit dem Kaffeesatz den üppig blühenden Busch. An seiner Spitze klebte unterhalb einer Blüte eine Bänderschnecke. Auch an einer Rosenblüte entdeckte ich eine. Waren die Schnecken vor dem Geruch des Kaffees auf den Strauch geflohen? Waren sie auf der Jagd nach Läusen, die sich auf dem Stängel verteilt hatten? Wollten sie mal eine andere Perspektive einnehmen und die Welt von oben sehen? Oder handelte es sich um Pionierinnen, welche die Lebensbedingungen auf Bäumen und Sträuchern erkundeten?

           Lange dachte ich nach, fand aber keine Antwort. Auch die Recherche im Internet half nicht weiter. Neue Fragen tauchten auf. Hatten die Bänderschnecken mein Angebot einer friedlichen Koexistenz doch angenommen und waren in die Höhe gekrochen, um auf Augenhöhe mit mir zu verhandeln? Was wollten sie mir sagen?

Vielleicht dies:

           Wir Bänderschnecken fressen keine jungen Triebe, wir bevorzugen vermodertes Gras, Blätter und Früchte. Frisches zartes Grün fressen die Nacktschnecken.

           Verfolge uns also nicht. Tatsächlich, ein Trieb des Rittersporns ist noch unversehrt.

           Ich habe verstanden. Wir schließen Frieden. Eine Frage bleibt: Wie vertragstreu sind Bänderschnecken? Dazu gibt es noch keine Untersuchungen, jedenfalls kenne ich keine. Den gemeinen Wegschnecken ist jedenfalls nicht zu trauen. Vorsichtshalber grabe ich den Rittersporn mit seiner letzten Blütenrispe aus, setze ihn in einen Blumentopf und stelle ihn auf den Tisch, den noch nie eine Schnecke erklommen hat.