Amors Pfeil - aus Liebe nach Ludwigsburg

 

          In Ludwigsburg begann für mich ein zweites Leben. Aufgewachsen bin ich in einem Dorf mit 1500 Einwohnern zwischen Schwarzwald und Schwäbischer Alb. Dort ging ich zur Schule, machte meine Ausbildung zum Industriekaufmann und meine Weiterbildung zum Betriebswirt. Dort gründete ich eine Familie und baute ein Haus. Dort war ich im Sportverein und im Deutschen Alpenverein. Dort wäre ich auch geblieben, wenn meine Frau nicht die Scheidung eingereicht hätte. Ab da veränderte sich mein Leben. Ich zog mich zurück und überdachte die letzten zwanzig Jahre.

          Mitte September 2009 machte ich mit meiner Mutter einen Ausflug zu meinem Sohn, der in Ludwigsburg studierte. Zuvor war ich noch nie in Ludwigsburg oder gar im Blühenden Barock gewesen. Gemessen an unserem idyllischen Dorf wirkte Ludwigsburg mit den Hochschulen, den Fabriken, dem Schloss und dem Park wie eine Großstadt. Zusammen besuchten wir die Kürbisausstellung im Blühenden Barock. Auf der Wiese unterhalb der Emichsburg war aus Kürbissen eine Skulptur gestaltet worden, die mich an Wilhelm Tell erinnerte. Mich reizte diese Figur. Spontan stellte ich mich in Positur, spannte eine virtuelle Armbrust und schoss einen virtuellen Pfeil zur Emichsburg. Wie sich drei Wochen später herausstellte, schoss ich ein paar hundert Meter über die Burg hinaus.

          Als Kletterer bezog ich das Mitgliedermagazin des Deutschen Alpenvereins. Zwei Wochen nach dem Besuch in Ludwigsburg schaute ich zum ersten Mal die Kontaktanzeigen an. Zuvor hatte ich sie immer überblättert, ich war ja verheiratet. Eine Anzeige unter der Postleitzahl 7 sprach mich an, die Inserentin wohnte also in Baden-Württemberg und die Wege zueinander wären nicht allzu weit. Ich schrieb eine E-Mail, sie schrieb zurück. Dann telefonierten wir. Ihre Stimme war sympathisch und was sie sagte, war klug und humorvoll. Wir redeten über Gott und die Welt und das tun wir heute noch. Eine Woche später trafen wir uns. In einem Restaurant kam die Kellnerin vier Mal an unseren Tisch, um unsere Bestellung aufzunehmen. Aber wir waren so in unser Gespräch vertieft, dass wir keine Zeit hatten, in die Speisekarte zu schauen und zu bestellen.

          Dann standen wir auf der Wiese mit der Wilhelm-Tell-Skulptur und ich zeigte B., wie ich meinen Pfeil auf die Emichsburg geschossen hatte. „Dein Pfeil flog an der Emichsburg vorbei“, sagte B., „er schlug ein paar hundert Meter dahinter ein und zwar bei mir, nicht bei Rapunzel. Ich wohne in der Fluchtlinie hinter der Burg. Auch auf die

 

 Gefahr hin, dass es kitschig klingen könnte, möchte ich sagen, der Pfeil traf mich mitten ins Herz.“ Nein, das ist kein Kitsch, das ist ein Wunder oder eine glückliche Fügung, auf jeden Fall Wirklichkeit. Seither sind wir ein Paar, ein glückliches Paar.      

           Trotz der Wohnungsknappheit fand ich schon im Dezember eine Wohnung zwischen Ludwigsburg und meinem Dorf im Schwarzwald. Ich zog also näher zu Ihr. So konnten wir viel Zeit miteinander verbringen.

          Wir entdeckten viele Gemeinsamkeiten und sind uns in vielem einig. Nur im Tanz waren wir es nicht. B. tanzt gern, aber mir war Gesellschaftstanz fremd. So etwas hatte ich noch nie gemacht. Ihr zuliebe meldete ich mich im Januar 2010 zu einem Tanzkurs an. Hoffentlich fällt er aus, dachte ich und er fiel aus. Zum Glück, dachte ich damals. In der Hoffnung, dass er auch ein zweites Mal ausfallen würde, meldete ich mich aber nochmals an, da ich es ja schon einmal zugesagt hatte. Aber dieses Mal fand er statt. Zum Glück, sage ich heute, denn ich entdeckte eine neue Welt, die mich bis heute begeistert. Im Laufe der Jahre belegten wir viele Tanzkurse und machten alle Tanzabzeichen bis zum Goldstar III. Dass ich einmal eine Leidenschaft für den Tanz entwickeln könnte und in Baden-Baden im Festspielhaus tanzen würde, hätte ich mir in meinem Leben davor noch nicht einmal vorstellen können.

          Aber uns verbindet nicht nur die Liebe zum Tanzen, sondern auch zum Bergwandern, zum Klettern und zum Radfahren. Und: wir lieben Geselligkeit und pflegen Freundschaften. Andererseits ergänzen wir uns auch. Zum Beispiel schlug ich vor, eine Radtour von Mittenwald bis Kap Arkona auf Rügen zu unternehmen. Ich überschlug die Strecke und sagte: „1.100 km, in 10 Tagen könnten wir das schaffen.“ B. wandte ein: „Wenn wir 110 km am Tag fahren, sehen wir ja nicht, durch welche Landschaften wir fahren, wir erleben dabei nichts.“ Wir verteilten dann die Strecke von 10 Tagen auf 26 Etappen in vier Jahren. Auf diesen Touren lernten wir das Land, seine Geschichte und viele freundliche Menschen kennen. Wenn Freunde klagen, wie viel Ungemach sie manchmal im Urlaub zu ertragen hatten, sehen wir uns nur an und sagen: „Fahrt das nächste Mal einfach uns hinterher, denn unsere Reisen sind immer schön.“

Unsere Unternehmungen dokumentieren wir immer in einem Art Tagebuch, das wir Momentesammler nennen. Es ist eine Sammlung vieler glücklicher Momente und es ist schon ganz schön dick geworden!


 

Erzählt von C., geschrieben von Regina Boger im März 2023