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Die Scheparache

Eine bunt gemischte Gruppe sitzt beim Tee zusammen und unterhält sich angeregt.

Mani:             In Berlin habe ich eine neue Sprache kennengelernt, Iddisch. Die wurde früher von Juden in Osteuropa gesprochen.

Anna:             Du meinst Jiddisch.

Mani:             Ja, sag ich doch: Iddisch.

Anna:             Es heißt Jiddisch.

Mani:             Ja, Iddisch!

Conny:          Mani, sag mal Ja.

Mani:            Ja

Conny:         Jo

Mani:            Jo

Conny:         Ji

Mani:            I

Alle lachen.

Abbas:            Deutsch ist eine sehr schewere Scheperache.

Giovanni:       Italienisch dagegen ist eine einfache Sprache. Und sehr klangvoll. Nur nicht, wenn Deutsche Italienisch sprechen wollen.

Conny:           Was meinst du?

Giovanni:      Die Deutschen sagen nicht ‚bon giorno‘, sondern ‚Bonn Tschorrrno!‘. Das klingt, als ob sie Schrotkugeln aus dem Mund abfeuern würden. Einem Italiener zerreißt es dabei beinahe das Trommelfell.

Conny:          Wahrscheinlich geht es Mani auch so, wenn ich Tamil spreche.

Nadja:           Was ist daran so schwer?

Conny:          Zum Beispiel L. In Tamil gibt es drei Arten von L. Mani, erkläre du es ihnen.

Mani:             Das spitze L wird von an der Zunge gesprochen, die Zunge berührt die Schneidezähne. Zum Beispiel in palam, Betonung auf der ersten Silbe, das bedeutet Brücke. Das ist wie im Deutschen. Dann gibt es aber noch ein fettes, klobiges La. Die Zunge steht senkrecht und berührt den harten Gaumen, beim Sprechen wird sie schnell nach vorne geschoben. Dieses La kommt in pallam vor, Betonung auf der zweiten Silbe, das bedeutet Tiefe. Probiert es mal.
Alle probieren es. Es gelingt mehr oder weniger, eher weniger als mehr.

Mani:              Gut, jetzt kommen wir zum richtig schwierigen L für Deutsche. Es ist das gerollte, runde, voluminöse L. Die Zunge wird genau wie beim fetten ‚LA‘ in die Mitte des Gaumens gebracht und weiter Richtung Rachen gebogen und schnell nach vorne geschoben. Dieses L kommt in palam vor. Das bedeutet Frucht. Probiert es mal.

Alle probieren. Niemand gelingt die richtige Aussprache des gerollten L. Es hört sich an wie ein Rudel röhrender Hirsche oder Katzen mit Halsschmerzen.

 Mani:             Gut. Für den Anfang. Wenn ihr täglich übt, werdet ihr es schon
                        noch  lernen. Schlecht wäre es halt, wenn ihr eine Brücke sucht
                        und
Frucht sagt. Ihr würdet dann wahrscheinlich eine Mango 
                       oder eine  Banane bekommen.

 

 

Regina Boger 2014

Ich danke Suresh Subramanya Suresh für die Sprachberatung in Tamil.

 

Anna:             Gut zu wissen, dass nicht nur Deutsch eine schwere Sprache ist. Ich hätte mir nie vorstellen können, dass man sich beim L die Zunge brechen kann.

Mani:              Wenn wir schon dabei sind. Ich heiße nicht Mahni, ihr sprecht meinen Namen wie eine Mahnung aus. Mein Name wird Mani ausgesprochen. Betonung auf der zweiten Silbe.

Anna:              Vorne kurz, hinten lang, wie dein Haarschnitt. Das kann ich mir gut merken, Mani.

Giovanni:      Bruder, wir teilen dasselbe Problem. Die meisten, die allermeisten, bestimmt 90 Prozent der Deutschen, die ich kenne, sprechen meinen Namen falsch aus. Sie sagen „Tschiowanni.Tschiowanni!“

Abbas:           Was gefällt dir nicht? Hört sich doch gut an.

Giovanni:      Dchowanni, versteht ihr, Dschowanni. Das G wird weich gesprochen dsch nicht tsch und bitte kein I! Dschowanni! Und am allerschlimmsten ist, wenn sie zu Zucchini ‚Sutschini‘ sagen. Das versteht kein Italiener.

Abbas:            Ah, sie sagen ‚Sutschini‘ anstatt ‚Zuchini‘?

Giovanni:      Nein, kein Ch, ein K in der Mitte, wie bei Zucker, ‚Zukkini‘. Im Italienischen wird kein Ch gesprochen.

Nadja:             Woher sollen wir das denn wissen?

Giovanni:      Seit über 50 Jahren leben Italiener in Deutschland. Ihr müsstet einfach besser zuhören, und wenn es nur dem Kellner in der Pizzeria ist.

Nadja:            Sprechen wir denn wenigstens Pizza richtig aus?

Giovanni:      Da kann man nichts falsch machen. Ich habe jedenfalls noch nicht gehört, dass jemand eine Pitscha oder eine Pissa bestellt hat.       

Caglar:           Giovanni, reg‘ dich doch nicht so auf. Wenn die Lehrer am Anfang des Schuljahres die Klassenliste vorlasen, sprachen sie meinen Namen Kaglar aus. Die ganze Klasse brüllte vor Lachen, weil es sich wie Kacke anhörte. Sie wollten mich nicht beleidigen, sie kannten einfach nicht die richtige Aussprache. Dann bemühten sie sich redlich, „Dschalar“ zu sagen. Und inzwischen können auch meine Kollegen meinen Namen richtig aussprechen. Mir macht es nichts mehr aus, wenn mich jemand mit Kaglar anspricht. Ich steh‘ da drüber. Inzwischen spreche ich sogar den Namen des türkischen Staatspräsidenten falsch aus, wenn ich mit Deutschen spreche.

Conny:           Erdogan?

Caglar:           Erdogan, das sagen die meisten Deutschen. Aber im Türkischen spricht man das G nicht, richtig heißt es „Erduan“.

Abbas:            Ist doch egal, ob etwas richtig oder falsch ist. Wichtig ist doch, was wir sagen. Hauptsache, wir verstehen einander.

Anna:              Also Mani, sag‘ ruhig weiter Iddisch. Ich verstehe, was du meinst. Solange ich weder ein klobiges noch ein voluminöses L sprechen kann, erwarte ich von dir auch nicht, dass du ein Ji sprechen kannst.

Nadja:            Also, fangen wir an. Wer mag eine Geschichte erzählen?