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„Was soll ich in Hamburg? Mir gefällt es hier!“

 

           Yorkshire, England, Oktober 1968: Im Obergeschoss einer ganz gewöhnlichen Doppelhaushälfte aus rotem Backstein wird das vierte Kind von Mary und Alan geboren – ein Nachzügler, ungeplant, doch vom ersten Tag an geliebt, wie Mary (inzwischen 81 Jahre alt) heute noch betont.
          
Sommer 1969: Aus Jux begleitet Mary mit dem kleinen Steve eine Freundin zu einer Gartenparty, auf der das süßeste Baby der Nachbarschaft gekürt werden soll. Der kleine silberne Pokal für das „Bonniest Baby“ befindet sich heute im Besitz der Autorin.
          
Die 70er Jahre: Steve durchläuft ein weitgehend unauffälliges Schulleben. Seine Sprachbegabung zeigt sich früh. Die Eltern haben keinen Grund zur Sorge.
          
Sommer 1981: Zum ersten Mal machen die Eltern nicht in Alans Traumland Italien Urlaub, sondern fahren nach Jugoslawien. Beide kehren zurück, schwer erkrankt am Legionärsfieber. Mary erholt sich, Alan stirbt. Steve ist 12 Jahre alt. Noch mit 40 Jahren kam er nicht darüber hinweg, dass seine Mutter ihm nicht erlaubt hatte, den sterbenden Vater im Krankenhaus noch einmal zu besuchen. Steve vermutet, dass seine Mutter wollte, dass er seinen Vater gesund und stark in Erinnerung behält, oder dass er noch zu jung sei mit 12 Jahren, oder dass sie gar nicht geglaubt hat, dass Alan stirbt oder ….

          Die 80er Jahre: Steve als der Jüngste ist nun meist allein im Haus. Die älteren Geschwister studieren bereits in verschiedenen Städten und kommen nur selten heim. Um dem Jungen über den Verlust des Vaters hinweg zu helfen, schafft Mary einen Hund an. Sie selbst wird von Keith umworben, der selbst Witwer ist. Die beiden verbringen, häufig zusammen mit Steve, gemeinsame Urlaube; sie ziehen nie zusammen, doch die Freundschaft bleibt bis zu Keiths Tod bestehen.
           Steve folgt dem Vorbild der Geschwister und studiert. Sein Studium schließt er mit dem Bachelor of Arts in Spanisch ab. Er lebt eine Zeitlang mit seinem älteren Bruder zusammen; die beiden renovieren in ihrer Freizeit Häuser und verdienen damit etwas Geld. Leider lernt Steve von seinem Bruder noch mehr: er beginnt zu trinken, ein Problem, das ihn die nächsten Jahrzehnte mehr oder weniger stark beeinträchtigen wird.
           Katalonien, die 90er Jahre:
Steve hat nach seinem Uni-Abschluss eine Stelle als Sprachlehrer in einer Kleinstadt nicht weit von Barcelona angetreten. Der mutige Schritt, seine Heimat zu verlassen, soll den Neuanfang bedeuten. Mehrere Jahre geht alles gut. Steve findet eine Freundin am Ort, die beiden verloben sich. Doch sein altes Problem die Alkoholkrankheit –  holt ihn ein. Dazu kommt ein korrupter Arbeitgeber, der Löhne unterschlägt, und bald ist Steve an einem Punkt angelangt, wo er nur noch einen Ausweg sieht: zurück nach Hause.



          Yorkshire, September 1999: Seit ungefähr zwei Jahren ist Steve wieder in der Heimat. Mit verschiedenen Jobs schlägt er sich mehr schlecht als recht durch. Mary unterstützt ihn, möchte aber auch sehen, dass er selbst Verantwortung für sein Leben übernimmt. Im Zimmer seiner Wohngemeinschaft sitzt der junge Mann abends oft am Computer und besucht einen Chatroom, der eine beliebte Anlaufstelle für Star Trek Fans ist. Dort kommt er eines Abends mit einer gleichaltrigen Frau aus Ludwigsburg ins Gespräch.
            J
uli 2000: Inzwischen sind sich Steve und die Frau aus Ludwigsburg näher gekommen. Es vergeht kaum ein Abend, an dem sie sich nicht im Chatroom unterhalten – an Gesprächsthemen mangelt es nie. Das erste Telefonat liegt bereits Monate zurück; der Klang von Steves Stimme löste solches Herzklopfen aus, dass  ein Besuch in Yorkshire vereinbart wurde. Der Besuch bestätigt nur, was beiden eigentlich schon klar war: der „Yorkshire Lad“ und die Ludwigsburgerin wollen zusammen sein.
          
November 2000:
Steve kündigt sein Zimmer in der Wohngemeinschaft, packt alles ein, was er allein transportieren kann, verkauft den Rest und nimmt den Flieger nach Stuttgart. Ein Rückflug ist nicht geplant.  Wird es gelingen, in Ludwigsburg Fuß zu fassen? Wieviel Mut erfordert so ein Schritt – in ein Land zu gehen, dessen Sprache man (noch) nicht spricht.

          Dezember 2000: Ein unbehandelter entzündeter Zahn führt zu einer lebensbedrohlichen Blutvergiftung – Steve landet im Krankenhaus, kaum einen Monat nach seiner Ankunft in Deutschland. Zwei Operationen unter Vollnarkose sind innerhalb von 24 Stunden notwendig. Die Ludwigsburgerin muss Mary in Yorskhire anrufen, wartet aber mit ihrem Bericht, bis Steve wieder bei Bewusstsein und auf dem Weg der Besserung ist.

           Januar 2001 bis März 2005: Steve fühlt sich mehr und mehr in Ludwigsburg heimisch. Die Alkoholkrankheit lässt ihn manchmal ein halbes Jahr am Stück in Ruhe – es gibt so viel Schönes jetzt in seinem Leben: er hat Arbeit als Sprachlehrer in der Erwachsenenbildung gefunden, genießt es, den gemeinsamen Haushalt tip-top in Ordnung zu halten, und hat Freude an Unternehmungen mit seiner Ludwigsburgerin. Regelmäßig werden die Urlaube zusammen in Yorkshire verbracht.

           März 2003: Nach jahrzehntelangem Miete-Zahlen entschließt sich die Ludwigsburgerin, eine eigene Wohnung zu kaufen. Steves fachmännisch geschultes Auge aus seiner Zeit als Häuser-Renovierer trägt zur richtigen Entscheidung bei; im Oktober wird die Wohnung in der Ludwigsburger Weststadt bezogen.



          Dezember 2000: Ein unbehandelter entzündeter Zahn führt zu einer lebensbedrohlichen Blutvergiftung – Steve landet im Krankenhaus, kaum einen Monat nach seiner Ankunft in Deutschland. Zwei Operationen unter Vollnarkose sind innerhalb von 24 Stunden notwendig. Die Ludwigsburgerin muss Mary in Yorskhire anrufen, wartet aber mit ihrem Bericht, bis Steve wieder bei Bewusstsein und auf dem Weg der Besserung ist.

           Januar 2001 bis März 2005: Steve fühlt sich mehr und mehr in Ludwigsburg heimisch. Die Alkoholkrankheit lässt ihn manchmal ein halbes Jahr am Stück in Ruhe – es gibt so viel Schönes jetzt in seinem Leben: er hat Arbeit als Sprachlehrer in der Erwachsenenbildung gefunden, genießt es, den gemeinsamen Haushalt tip-top in Ordnung zu halten, und hat Freude an Unternehmungen mit seiner Ludwigsburgerin. Regelmäßig werden die Urlaube zusammen in Yorkshire verbracht.

           März 2003: Nach jahrzehntelangem Miete-Zahlen entschließt sich die Ludwigsburgerin, eine eigene Wohnung zu kaufen. Steves fachmännisch geschultes Auge aus seiner Zeit als Häuser-Renovierer trägt zur richtigen Entscheidung bei; im Oktober wird die Wohnung in der Ludwigsburger Weststadt bezogen.

           April 2005: Steve und die Ludwigsburgerin heiraten. Mary freut sich sehr über die neue Schwiegertochter, die ihrem Herzen näher steht als ihre anderen Schwiegerkinder, obwohl sie geographisch am weitesten entfernt ist. „Sie hat Dein Leben gerettet“, sagt sie mehr als einmal zu ihrem Sohn.

           2005 – 2009: Das gemeinsame Leben gestaltet sich meist angenehm. Ab und zu erhebt der Alkoholiker in Steve sein hässliches Haupt; das Jahr 2008 ist besonders schlimm in dieser Hinsicht. Trotzdem: das Ehepaar hält zusammen,

 

Steve sieht inzwischen Ludwigsburg als seine Heimat an und zieht sogar seine Chefin damit auf, dass er besser Schwäbisch als Hochdeutsch kann. „Und was, wenn Du mal nach Hamburg fährst?“ fragt sie. „Was will ich in Hamburg? Mir gefällt es hier!“ kontert er. Um seine neue Heimat Deutschland besser kennen zu lernen, verbringen Steve und seine Ludwigsburgerin drei Sommer hinter-einander ihren Urlaub an verschiedenen Ecken des Bodensees. Für Steve wird ein Traum wahr, als ein Schiffsausflug die beiden über das Wasser in die Schweiz führt und er die schneebedeckten Berge aus der Nähe sehen kann. Kürzere Städtereisen jedes Jahr um den Hochzeitstagherum führen das Paar nach Berlin, München, Nürnberg, Freiburg und Heidelberg.

           Oktober 2009: Während seine Frau eine Woche lang auswärts auf einer Messe arbeitet, nutzt Steve die Gelegenheit zum ungestörten Arbeiten und streicht die ganze Wohnung neu. Jeder Raum wird mit viel Liebe behandelt, denn die Wohnung ist längst schon sein Lieblingsprojekt.

           5. November 2009: Die Ludwigsburgerin geht morgens wie immer zur Arbeit, nicht ohne sich mit der üblichen Umarmung und dem Kuss von ihrem Mann zu verabschieden, der seine Maler-Utensilien im Keller aufräumt und an jenem Tag erst abends unterrichten muss. Gegen 13.30 Uhr tauschen die beiden wie gewohnt ein paar kurze, liebevolle E-Mails aus. Als die Frau um 17.30 Uhr nach Hause kommt, findet sie Steve tot im Wohnzimmer auf dem Boden liegend vor. Das Herz hat einfach von einem Moment auf den anderen aufgehört zu schlagen, fünf Tage nach Steves 41. Geburtstag. Der Anruf bei Mary ist das schwerste Gespräch, das die Ludwigsburgerin jemals führen musste.

 


 

Meks

Die Autorin schreibt die Lebensgeschichte
ihres Mannes unter dem Pseudonym Meks.

Titelbild: Bilal Hasaf