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Wir hatten ein gutes Leben in der DDR und ein wesentlich besseres im Westen

 


Teil 1


Vorbemerkung

          Demnächst werde ich 78 Jahre alt, bin 58 Jahre verheiratet und habe zwei erwachsene Söhne. Geboren wurde ich im Vogtland in der früheren DDR.

Ich hatte ein gutes Leben in der DDR und ein wesentlich besseres im Westen. Der DDR trauere ich nicht nach; der Sozialismus funktioniert nicht, da er die Marktwirtschaft und damit Konkurrenzkampf ausschließt. Nach nunmehr
27 Jahren im Westen sind wir voll integriert und haben einen klaren Blick auf beide Systeme. Insofern ärgern uns Zerrbilder vom Leben in der DDR, wie sie immer wieder auftauchen. Wir hatten unser Auskommen, fernbeheizte Neubauwohnungen in Karl-Marx-Stadt und Dresden, einen Kleingarten und privat organisierte Urlaube sowie Ferien in Betriebs- oder Gewerkschaftsheimen. Mängel im Lebensmittelsortiment, lange Wartezeiten auf Autos sowie erhebliche Einschränkungen im Reiseverkehr und kein Telefon waren die Kehrseite. Mit der Zeit hatten sich die meisten Bürger kritisch daran gewöhnt. Mit der Stasi hatten wir nichts am Hut und sie nichts mit uns.

 

Kindheit in Kriegszeiten

           Ich bin ein „Kriegskind“, Jahrgang 1939. Fünf Tage vor dem Ausbruch des zweiten Weltkrieges geboren, gleichzeitig wurden die Lebensmittelkarten eingeführt. Diese Umstände waren auch prägend für meine Kindheit. 

           Und nun gebe ich mich ganz meinen Erinnerungen hin.

 Mai 1945 in Böhlen bei Leipzig. Warum Böhlen? Eigentlich sind wir Vogtländer: Mutter, Vater, Großmütter, Tante. Nun, mein Vater nahm in einem größeren Böhlener Betrieb eine Arbeitsstelle an und bezog mit meiner Mutter in Böhlen eine sehr schöne Werkswohnung. Das war 1937 oder 1938. Vati musste bald in den Krieg und als mein Geburtstermin näher rückte, ging meine Mutter für einige Zeit nach dem Vogtland. Dort brachte sie mich am
26. August 1939 zur Welt. Dann ging es wieder nach Böhlen, wo ich die ersten Jahre meiner Kindheit verbrachte.

           Was war nun an diesem Tag im Mai 1945? Mutti und ich am offenen Wohnzimmerfenster. „Mutti, warum läuten die Glocken so lange?“ „Sie läuten Frieden ein, mein Jürgen!“ „Frieden, was ist das?“ „Der Krieg ist endlich zu Ende.“ „Vati ist doch im Krieg gewesen. Kommt er jetzt heim? Mutti, ich wünsche mir, dort vorn kämen Soldaten und Vati wäre dabei.“ „Vati ist aber vermisst. Er wird so bald nicht kommen.“ „Was ist das, vermisst? Woher weißt du das?“

           „Das stand in dem Brief von seinem Regiment. Sie wissen nicht, wo er ist. Es gab ein großes und schlimmes Durcheinander nach der verlorenen Schlacht um Stalingrad. Dort diente Vati in der 6. Armee. Er wurde nicht mehr gefunden. Das nennt man dann vermisst.“ „Ist er vielleicht tot wie Onkel Erich?“ „Auch das weiß niemand. Es sind so viele, die nicht gefunden wurden. Aber es gibt Leute, deren Angehörige Offiziere in der sechsten Armee waren. Die suchen nach Überlebenden.“ „Ich wünsche mir so sehr, dass Vati wiederkommt.“ „Der liebe Gott wird schon helfen.“ Mutti nahm mich in die Arme und wir weinten ein wenig.

           Nun – der liebe Gott hat nicht geholfen. Die Kriege nahmen den Frauen die Männer und mir beide Großväter und den Vater und den Onkel. Aber etwas Anderes hat der Glaube an Gott bewirkt. Die zurückgelassenen Witwen zerbrachen nicht an ihrem Leid, sondern füllten in der Folge ihren Platz im Leben vollständig aus. Und das besonders an mir, dem Stammhalter der Tröbers. Ich war plötzlich das einzige und vorerst letzte männliche Glied der Familien Tröber. Streng und gut behütet musste ich nun unter lauter Frauen aufwachsen. Allerdings ging es Vielen so. 

Dieses Bild zeigt meine Großmutter väterlicherseits mit ihren beiden Söhnen.

In ihrer Wohnung hatte sie folgenden Spruch angebracht:

                          „Was ich wollte, liegt zerschlagen.
                         Herr, ich lasse ja das Klagen
                         und bin still.

                         Nun gib mir auch die Kraft
                         zu tragen,
                        was ich nicht will.“

Dieser Spruch symbolisiert sehr gut, wie es im Seelenleben der strenggläubigen Großmutter aussah.

          Diese Großmutter hatte vor dem Krieg ein „Putzmachergeschäft“. Sie stellte Hüte und Kappen her, die zu dieser Zeit sehr gefragt waren.  Als sie ihr

Geschäft altershalber an eine Mitarbeiterin verkaufte, zahlte sie einen Teil des Erlöses ihren Söhnen aus. Ihr blieben noch 18 000 Reichsmark, damals eine beträchtliche Summe. Aber dann kam die Währungsreform und es waren nur noch 1800!! Die galten als Uraltguthaben und wurden in großen Abständen in kleinen Beträgen ausgezahlt. Wiederum verteilte die Großmutter das Geld gerecht. 

              Als mein Vater 1938 zum Wehrdienst einberufen wurde und 1939 an die Front kam, hatte meine Mutter natürlich große Angst, das gleiche Schicksal zu

erleiden, wie ihre Mutter und Schwiegermutter im ersten Weltkrieg. Beide wurden zu Kriegswitwen und ihr bis dahin glückliches Leben war erst einmal beendet.

          Nun zurück zu meiner Kindheit in Böhlen. Eines Tages war das Wohnzimmer beherrscht von einigen schwarz gekleideten Frauen, die aus Netzschkau gekommen waren. Das muss so Anfang 1943 gewesen sein. Meine Tante sagte, dass Schreckliches passiert sei. Stalingrad verloren und ihr Mann, Onkel Erich,

sei gefallen, also tot. Das war nicht gerade dazu angetan, Mutter Zuversicht zu vermitteln, was meinen Vater betraf. Ihre Sorgen wuchsen von Tag zu Tag. Charakteristisch für diese Zeit war, dass die Frauen Angst hatten, der Briefträger bringe die Nachricht „Gefallen für Führer und Vaterland“. Und natürlich kam später dann die Nachricht, dass Vati bei Stalingrad vermisst wurde.

            Wie es meine Mutter schaffte, mir trotz aller seelischen Belastungen eine weitgehend unbeschwerte Kindheit zu gewährleisten, ist mir nur damit erklärbar, dass ich ihr Ein und Alles war, der letzte Tröber, der Stammhalter. Damit musste alles Störende von mir ferngehalten werden. Die Familie war voll auf mich fixiert. Ich wurde wohlbehütet, sollte keine Fehler machen, Respekt vor Bessergestellten haben u.a.m. Erst im fortgeschrittenen Mannesalter wurde mir klar, dass diese gutgemeinten Eigenschaften mich stark geprägt haben, was beileibe nicht immer von Vorteil war. Ich wurde zum Kontrollfreak, hatte Probleme mit der Selbstsicherheit und litt unter Selbstzweifeln. Selbst wenn mich alle lobten, suchte ich noch das Haar in der Suppe. Trotzdem wurde aus mir ein guter Ingenieur, der seinen Aufgaben jederzeit gewachsen war.  Meine Kindheitserlebnisse in Böhlen erstreckten sich über sechs Jahre, von 1939 bis 1945, also bis zum sechsten Lebensjahr.

           Unbedingt erwähnen will ich noch den Bau von zwei Luftschutzbunkern durch die Deutschen in den letzten Kriegsmonaten. Die guten Straßen erhiel-ten provisorische Gleise, auf denen in Loren das Baumaterial herangeschafft wurde. Wir sahen auch die Bauarbeiter, alles Sträflinge in ihrer gestreiften Kleidung, wie sie täglich zur Baustelle und zurückmarschierten. Ein trauriger Anblick!

           Wenn Leipzig und die großen Braunkohlebergwerke in der Umgebung bombardiert wurden, begaben wir uns in die Luftschutzkeller. Nach Fertigstellung der Luftschutzbunker waren wir zweimal auch dort. Es herrschte eine bedrückende Atmosphäre bei heißer, stickiger Luft. Waren wir im Luftschutz-keller, so begaben sich die Männer ins Freie und berichteten von dem, was sie am Himmel sahen. Auch von Bombeneinschlägen in der Nähe. Noch lange nach Kriegsende hatten wir den Heulton der Sirenen noch in den Ohren.

          Wir sahen nach oder gegen Kriegsende zuerst amerikanische und später die russischen Soldaten durch Böhlen ziehen. Überall war weiß geflaggt als Zeichen der Kapitulation. Die Amerikaner bezogen Quartier in der gegenüberliegenden Straße. Zum Glück blieben wir von Einquartierungen verschont.

          Als die Amerikaner durch Böhlen fuhren, beeindruckten mich vor allem die fast lautlos dahingleitenden Militärjeeps.

           In der Nachbarschaft fand ich Spielkameraden. Mein erster Freund war Heiner. Wir spielten auf der Straße und zu Hause. Ein Freund meiner Eltern, der nicht eingezogen worden war, war ein begnadeter Bastler. Er baute mir aus Holz einen Personenzug, Güterwagen und einen Geflügelhof. Damit spielten Heiner und ich stundenlang.

           Heiner hatte als einziger einen luftbereiften Roller. Weiß der Kuckuck, wie die Eltern das gute Stück beschaffen konnten. Einige Male durfte ich damit fahren, hatte doch nur einen ganz einfachen.

           Ein Depot der Nazis war ausgeräumt worden. Das Zeug lag auf der Straße. Heiner und ich griffen uns Stahlhelme und zogen damit durchs Wohngebiet. Niemand nahm Anstoß daran! Wie spielten auch mit Spielzeugsoldaten und niemand fand etwas dabei.

 



Grundschule und Nachkriegsprobleme

           Nachdem der Krieg zu Ende war, kam der Tag der Einschulung im September 1945. Alles lief gut, auch die Zuckertüte war gut gefüllt. Im Gegensatz dazu waren die wenigen Wochen, die ich noch in Böhlen zur Schule gehen sollte, sehr qualvoll. Ich war extrem schüchtern, wusste mich nicht zu verteidigen. Damit hatte ich später auch in Netzschkau noch Probleme.

           Meine Mutter bekam nach Kriegsende Angst vor der Einquartierung eines Untermieters, wie es damals üblich war. Sicher war das bereits der Anfang der Flüchtlingsströme aus den „Ostgebieten“. Aus der Angst erwuchs der Entschluss, wieder nach Netzschkau, ihrer Heimat zu ziehen. Dort waren ja beide Großmütter und auch ihre verwitwete Schwägerin.

           Der Umzug nach dem Vogtland wurde zum ersten großen Einschnitt in meinem jungen Leben. Ich war nicht „Feuer und Flamme“ für diese doch so berechtigte Maßnahme. Ich verlor meinen Freund Heiner, die Spielkameraden und den großen Bastler. Natürlich kam es zum Umzug. Die Fahrt mit einem „Holzgaser“ durch besetzte Gebiete war ein Abenteuer. Meine Mutter und ich saßen im Anhänger in unseren Sesseln und wurden so richtig durchgeschüttelt.

           Der Motor durfte nicht ausgehen! Deshalb hielt das Auto in Netzschkau auf einer abschüssigen Straße. Wir stiegen mit dem Nötigsten aus. Das Auto war aus der Kreisstadt und bei nächster Gelegenheit wurde unser Umzugsgut angeliefert. Neugierige gab es etliche.

           Dann kamen andere Probleme. Der erste Schultag war eine Katastrophe! Von Mutti ins Klassenzimmer geführt, schrie ich wie am Spieß und konnte mich nicht beruhigen. Da stand spontan ein Schüler aus der ersten Reihe auf, nahm mich bei der Hand und führte mich zum Platz neben sich. Ich brauchte bis zum dritten oder vierten Schuljahr, um mich in der Schule einzuleben, Freunde zu gewinnen und bessere Noten zu erzielen. Im siebten und im achten Schuljahr war ich Klassenbester.

           Wir waren in den Jungen Pionieren organisiert, ich arbeitete im Freundschaftsrat mit und war Mitglied in der Arbeitsgemeinschaft Fotografie, die unser Klassenlehrer leitete.

           Für eine enge Bindung an die Methodistenkirche sorgten meine Mutter und die Großmütter. Es gab keine Probleme mit meinen oben beschriebenen „weltlichen“ Aktivitäten.

           Außerhalb der Schule und nach Erledigung der Hausaufgaben blieb genügend Zeit für Spiel und Sport. Rumstromern am Felsen, auch mit dem Klassenlehrer, Balltreiben, Himmelhupf und Fangen waren willkommene Abwechslungen. Im Sommer waren wir fast täglich im schönen Freibad. Dort brachte ich mir auch selbst das Schwimmen bei.

           Bis zur vierten oder fünften Klasse hatten wir noch „altgediente“ Lehrer aus der Kriegs- und Vorkriegszeit. Sie hätten gut in den Film „Die Feuerzangenbowle“ gepasst. Ihre Strafen waren zum Teil äußerst brutal: Rohrstock, Backenstreiche, Ziehen an den Ohren u.a.m. Die Neulehrer warfen mit Kreide oder dem umfangreichen Schlüsselbund. Doch das Positive überwog und wir hatten ein gutes Verhältnis zu den Neulehrern. Sicher auch deshalb, weil sie oft auch in der Freizeit für uns da waren, z. B. in Arbeitsgemeinschaften.

           Ich schloss die 8-klassige Grundschule mit „sehr gut“ ab und wurde in der Abschlussveranstaltung ausgezeichnet. Ich sollte unbedingt die Oberschule besuchen und das Abitur machen. Andererseits wollte ich so bald wie möglich meine Mutter finanziell entlasten. Wir entschieden uns für eine Lehre zum Betriebsschlosser.

           In der Familie ging es nach dem Krieg erst einmal um die Grundversorgung. Geld war nicht das Problem. Aber die wohlhabenden Bauern wollten lieber Sachwerte für ihre Lebensmittel, wenn Oma auf Hamstertour war. Bezahlt wurde mit Bettwäsche, Porzellan, den Fußballschuhen meines Vaters. Sehr gefragt waren Zigaretten. Oft gab es zum Frühstück oder Abendbrot nur trockenes Brot oder geröstetes, manchmal mit Butter oder Margarine, teils auch mit klarem Zucker. Manchmal machte meine

Mutter Sirup aus Zuckerrüben. Das schmeckte ganz gut. Eine Schinkensemmel kannte ich nur aus einem Bild in der Fibel.

          Ein großes Problem war die Beschaffung von Heizmaterial. Allein die Deputatbriketts aus Böhlen reichten nicht. Holz musste her und das aus den fast leergefegten Wäldern um Netzschkau. Heute noch sehe ich Mutter und Großmutter beim mühseligen „Holzmachen“ vor mir. Wie sie das schafften!?

          Ich habe nicht vergessen, dass wir Verwandte in den USA hatten. Als Kind wollten diese mich einige Zeit bei sich haben. Das verhinderte meine Mutter aus Sorge um mich.

          Im Rahmen der CARE-Aktionen aus den Staaten erhielten wir umfangreiche Hilfspakete mit dem Nötigsten: Trockenmilch, Kakaopulver, Büchsenwurst u.a.m. Meist gingen die Pakete an die Mutter meines Vaters, die dann alles gerecht an ihre Lieben verteilte. Das war eine große Hilfe.

 

Lehre und Beruf

           Nun zurück zu mir. Was will ich werden, welchen Beruf ergreifen? Natürlich Elektriker wie mein Vater. Die Firma, in der bereits mein Vater gelernt hatte, brauchte eine zu lange Bedenkzeit und wir wurden nervös. Schließlich mussten wir handeln. So begann ich eine zweijährige Lehre als Betriebsschlosser in der NEMA, einem der größten Arbeitgeber im Kreisgebiet. Duplizität der Ereignisse: Am Tag, als wir den Lehrvertrag unterschrieben hatten, kam abends die Zusage des Elektrikbetriebes – zu spät! Wie sich während der Lehre zeigte, war unsere Entscheidung gut. Die Lehre war in jeder Hinsicht vorbildlich. Wir meißelten, feilten, frästen, bohrten und senkten an der legendären Grundplatte. Wir durchliefen die Stationen Bohren, Drehen, Fräsen, Schmieden, Autogenschweißen. Noch heute sind die typischen Handgriffe jederzeit abrufbar. U.a. fertigten wir eine Rohrzange. Als Abschlussarbeit war ein Türriegel zu machen, an dem die Hauptfertigkeiten angewendet und bewertet wurden. Die Lehre schloss ich theoretisch mit sehr gut und praktisch mit gut ab. Auch hier erhielt ich eine Auszeichnung.

           Im Lehrbetrieb nahm ich auch die Arbeit auf. Ich kam in eine Brigade, wo körperlich schwere Arbeit an der Tagesordnung war. Nun trug ich wegen einer Skoliose am Rückgrat ein Korsett aus Stahl. Wenn ich mich bückte, zeichnete sich dies deutlich ab. Es blieb nicht aus, dass dieses auch meinem Brigadier auffiel. Er handelte sofort und sorgte für eine körperlich leichtere Arbeit in der Klempnerei des Betriebes. Diese Arbeit war geistig anspruchsvoll. Ich hatte die unterschiedlichsten Blechabwicklungen aufzureißen, die dann maßgerecht zugeschnitten wurden. Ich hatte bald das Vertrauen meines Vorarbeiters und ein gutes Verhältnis zu allen Kollegen.

 

In der Methodistenkirche

           In die Zeit meiner Lehre und davor fielen auch meine Aktivitäten in der Methodistenkirche in Netzschkau. Ich war damals sehr gläubig, besuchte die SONNTAGSSCHULE und die Gottesdienste und nahm am weihnachtlichen Krippenspiel teil. Für den Posaunenchor erlernte ich das Klarinette spielen. Später kam noch die Orgel hinzu. Meine Tante, die das bis dahin ausübte, verzog und ich wurde mit dieser Aufgabe betraut. Ich nahm Unterricht beim Kantor der evangelischen Kirche, einem guten Menschen und begnadeten Organisten. Ich kam so weit, dass ich die Gemeinde beim sonntäglichen Gottesdienst zum Gesange begleiten konnte. Auch Präludium und Nachspiel fielen mir nicht schwer.

           Ich muss gestehen, dass ich in dieser Zeit sehr von mir überzeugt war und dies auch zeigte. Mit folgendem Spruch wurde ich kritisiert:

                          Er isst nur hastig, lacht ganz selten,
                         für Mädchen hat er keinen Blick.

                          Er lebt nur noch in andern Welten
                         und hält sich für das Meisterstück (Orgel).

 Das löste bei mir doch eine nachdenkliche Phase aus, die mich bescheidener werden ließ. Ich wurde auch offener und zugänglicher.



Studium und erste Ehejahre, Glaubensfragen

           Zurück zum Arbeitsleben. Ich arbeitete ein Jahr in der Klempnerei meines Betriebes. In dieser Zeit trug man mir an, mich zum Ingenieurstudium zu delegieren. Ich sagte zu, obwohl meine Mutter für einige Wochen verreist war. Sie fiel aus allen Wolken, die finanzielle Belastung im Auge. Ich meinte, mit dem monatlichen Stipendium von 150 Mark müsste das doch zu schaffen sein. Schweren Herzens siegte der Stolz auf mich und sie stimmte im Nachhinein zu. Es gab einen Vorbereitungslehrgang mit dem Schwerpunkt Mathematik. So gestärkt fuhren mein Freund Peter und ich zur Aufnahmeprüfung nach Karl-Marx-Stadt. Er fiel leider durch und ich bestand. Ohne Abitur, lediglich Achtklässler und Berufsabsolvent zum Studium – heute undenkbar!

          Eine neue Etappe in meinem jungen Leben war eingeleitet. So verließ ich als 17-jähriger den Schoß der Familie jeweils von Sonntagabend bis Sonnabendmittag. Ab 1. September 1956 für drei Jahre!

           Im ersten Studienjahr war ich strebsam und fleißig, die Noten in Ordnung. Das änderte sich im zweiten Jahr, als ich stark unter den Einfluss eines Mitstudierenden geriet. Er hatte Abitur, doch das half ihm am Ende auch nicht. Er bestand die Ingenieursprüfung nicht. Nun, wir gingen häufig in Kneipen, spielten Billard u.a.m. Zudem wurde ich vier Wochen krank. Daraus resultierte ein dramatischer Leistungsabfall, aber nicht sooo schlecht, so dass ich weiter studieren konnte. Im dritten Jahr hatte ich mich gefangen und absolvierte als knapp 20-jähriger das Ingenieurstudium.

           Während meiner Studienzeit kam ich einem jungen Mädchen näher, meiner späteren Frau Inge. Es wohnte in derselben Straße und war in derselben Kirche verankert wie ich. Wir verliebten uns und im dritten Studienjahr meldete sich Nachwuchs an. Große Aufregung, vor allem bei meiner Mutter. Sie glaubte mich zu verlieren. Letztlich wurde beschlossen, vor der Niederkunft zu heiraten, was ja ohnehin geplant war, wenn auch später. Dass auch kirchlich geheiratet wurde, war selbstverständlich. Nun war ich aber in der Zwischenzeit extrem vom Glauben abgekommen, was angesichts des Ritualtextes zum Problem werden konnte.

           Ich „opferte“ meinen Glauben dem Marxismus-Leninismus, der auch an der Ingenieursschule gelehrt wurde. Und das so meisterhaft, dass wir uns der zwingenden Logik nicht verschließen konnten. Der christliche Glaube wurde für mich völlig unlogisch, da nichts von alledem bewiesen werden konnte.  Außerdem stellte ich die Frage der Gerechtigkeit am Beispiel der beiden Weltkriege. Hinzu kam das „Märchen“ von der unbefleckten Empfängnis.

           Der Schock in der Familie war groß und saß tief. War ich doch der erste Tröber, der vom Glauben abfiel und noch dazu der „Stammhalter“! Im Vorgespräch mit dem Pastor wurde auch der Ritualtext erörtert. Dort wird u.a. gefragt, ob man eine christliche Ehe führen wolle. Das konnte ich nicht mit „Ja“ beantworten. Zu guter Letzt änderte der Pfarrer den Trautext so, dass ich mit gutem Gewissen „Ja“ sagen konnte. Ich rechne das dem Pastor heute noch hoch an. Es muss ihm sehr schwer gefallen sein, diesen Kompromiss einzugehen. Jahrzehnte später, als ich wieder zum Glauben gefunden hatte, konnte ich ihm nochmals meinen Dank aussprechen. Seine Freude war sehr groß, als er hörte, dass ich wieder zu Gott gefunden hatte.

           Nach der Hochzeit und einer kleinen Reise begann für mich wieder der Ernst des Lebens im Hinblick auf den Studienabschluss in einigen Monaten. Alles ging gut. Meine Frau erwartete den frischgebackenen Ingenieur sehnlichst und war sauer, dass ich zuerst zu Mutter und Großmutter ging. Dabei hatte ich mir nichts gedacht, schließlich wohnten wir in einer Straße.

           Ich wohnte noch einige Monate möbliert, bevor wir im Frühjahr 1960 in Karl-Marx-Stadt in Untermiete ziehen konnten.  Am 25. Dezember 1959, dem ersten Weihnachtstag, war unser erster Sohn zur Welt gekommen. Es hatte während und nach der Geburt Komplikationen gegeben, aber dann wurde alles gut. Alle waren froh und das Glück schien vollkommen. Doch dann schlug das Schicksal bereits im Januar 1960 plötzlich zu. Die Schwiegermutter starb von einem Tag auf den anderen. Trotzdem war mir meine Frau Anfang 1960 nach Karl-Marx-Stadt gefolgt.

           Bereits am 17. August 1959 begann ich als Ingenieur in der Konstruktionsabteilung eines Rohrleitungsbetriebes mit gutem Ruf. Als ich nach dem Jahreswechsel wieder in den Betrieb kam, erwartete mich eine freudige Überraschung. Ich erhielt als Neuer eine Prämie von 600 Mark. Obwohl meine Frau einiges gespart hatte, konnten wir das Geld gut gebrauchen.

          Wir lebten etwa neun Jahre in Karl-Marx-Stadt. Ich hatte eine gute Arbeit und meine Frau machte eine gut bezahlte Heimarbeit für ein Pelzgeschäft. Frühzeitig waren wir einer Baugenossenschaft beigetreten und so konnten wir

uns bereits 1963 über eine Neubauwohnung mit Fernheizung in Karl-Marx-Stadt freuen.

           1962 kam unser zweiter Sohn zur Welt. Wie beide heute noch gern bestätigen, hatten sie eine schöne und unbeschwerte Kindheit. Auch in der Schule kamen sie gut zurecht.

 

Umzug nach Dresden

           Das Lebensniveau war anfangs der 1960er-Jahre noch bescheiden, bis es in den 70er-Jahren spürbar besser wurde. Auch dank des gestiegenen Wirtschaftsniveaus inkl. Export und Import. Steil bergab ging es viel später. Unser Familienleben wurde nach einer Ehekrise, die wir nach sieben Jahren hatten, wieder normal und war von gegenseitiger Achtung und Liebe geprägt. Auslöser waren meine vielen Dienstreisen gewesen. Im Haus hatten wir gute und enge soziale Kontakte zu fast allen, was sicher dem Umstand entsprang, dass es für alle ihre erste Neubauwohnung war. Es gab eine „Kerntruppe“, die vieles miteinander unternahm. Bei Bedarf half man sich gegenseitig. Es war trotz aller Mangelerscheinungen eine unbeschwerte Zeit.

           In dieser Zeit erreichte mich ein Ruf aus unserem wissenschaftlich-technischem Institut in Pirna. Sie suchten einen Gruppenleiter mit umfassenden Branchenkenntnissen. Ich passte genau in das Profil. Das Gehalt war auch ansehnlich, Weiterentwicklung möglich, Unterstützung bei der  Wohnungssuche zugesagt. Letzteres für Dresden, nach Pirna wollten wir nicht ziehen. Ich sagte zu. Zunächst ein Einschnitt in die Familie. Es dauerte immerhin zwei Jahre, bis es mit einer Wohnung mit Fernheizung klappte. In dieser Zeit war ich nur an den Wochenenden zu Hause.

           Es ist fraglich, ob ich bei all den neuen Kollegen willkommen war. Sicher hatten einige auf den Posten spekuliert. Trotzdem gelang es mir, nach kurzer Zeit ein gutes Verhältnis aufzubauen. Dazu trugen auch gemeinsame Freizeitaktivitäten wie Fußball bei. Als ich mein erstes Tor schoss, waren alle begeistert. Aber auch meiner gewissenhaften Arbeitsweise brachte man Respekt entgegen. Kurze Zeit nach meinem Eintritt in das Institut wurde ich mit einer monströsen Aufgabe beauftragt, die bald den ganzen Industriezweig einbezog. Die Erläuterung im Einzelnen würde den Rahmen dieser Geschichte sprengen. Nur so viel! Das Thema beinhaltete den Korrosionsschutz von Rohren und Rohrleitungen im großen Stil mit dem Ziel, deren Lebensdauer zu verlängern. Im Mittelpunkt stand der Aufbau einer zentralen Anlage, in der im Durchlaufverfahren die Rohre entrostet, vorkonserviert und getrocknet wurden. So eine Aufgabe hatte es bis dahin im Institut nicht gegeben. Auch über zehn Betriebe des Industrieverbandes mussten im Rahmen der Forschungsarbeit Korrosionsschutzlösungen für ihr Sortiment an Rohren, Bauteilen und Rohrleitungen unter meiner Anleitung erarbeiten.

           Wir sprengten den Kostenrahmen und überzogen den Termin. Schließlich kam der Erfolg, an den niemand mehr so recht geglaubt hatte und die Freude und die Achtung waren groß.

           In dieser Zeit hatte meine Familie nicht viel von mir gehabt. Vor allem zum entfernten Standort der vorbeschriebenen Anlage sowie zu den Betrieben des Industrieverbandes war ich oft wochenlang auswärts.

 

Freizeitgestaltung und Tragisches

           Das änderte sich nun. Die Zeiten wurden ruhiger. Ich war neben dem Fußball noch in anderen Gemeinschaften aktiv. Das wirkte sich positiv in der Freizeit aus. Es gab Freundschaftsspiele, gesellige Abende und schöne Ausflüge. Wir hatten über meine Frau weitere soziale Bindungen. Ihre Kolleginnen im Friseursalon und deren Männer waren ein lustiges und unbeschwertes Völkchen. Auch in diesem Kreis wurde viel Freizeitgestaltung betrieben.

           Im Kleingartenverein fühlten wir uns wohl. Jährliche Gartenfeste boten eine willkommene Abwechslung. Wir halfen bei der Organisation und Durchführung. Unsere Gartennachbarn waren nette Leute und auch hier gab es hin und wieder ein kleines Fest.

           Kulturell waren wir auch aktiv. Wir hatten ein so genanntes „Großes An-recht“, dass uns im Monatsabstand Vorstellungen in der Staatsoperette, dem Schauspielhaus und später in der Semperoper sicherte. Das künstlerische Niveau war hervorragend. Der Würde des Abends angepasst, trugen die Frauen lange Kleider und wir Männer Anzug und Schlips.

         In die Dresdner Zeit fielen leider auch tragische Ereignisse. Ich ging mit einem perforierten Appendix knapp am Tode vorbei. Mein Schwiegervater hatte wieder geheiratet. Anfang der 80er-Jahre verstarb auch seine zweite Frau, meine zweite Schwiegermutter, und wenig später auch der Schwiegervater. Es folgte der Tod meiner Mutter in Netzschkau.



Risse in der Gesellschaft

           In der Partei war ich aktiv – aus Überzeugung. Sonst wäre ich gar nicht eingetreten. Ich zog daraus keinerlei materielle Vorteile. Mit der Zeit wurde es aber immer schwieriger, Parteilose von der Richtigkeit des „sozialistischen Weges“ zu überzeugen. Ich merkte auch, dass meine Argumente immer verkrampfter und allgemeiner wurden. Zudem gab es Risse in der Gesellschaft, was den Konsum betraf. Diese entstanden mit der Einführung der Intershops sowie Exquisit- und Delikatläden. In den Intershops konnte nur mit Westgeld (Forumschecks) bezahlt werden. Am angesehensten waren die Leute mit Westgeld; unabhängig von ihrer sozialen Stellung, gleich ob rechtschaffen oder nicht. Die Bessergestellten kauften ihre Kleidung in den Exquisitläden und Wurst- und Fleischwaren in den Delikatläden. Wir „pendelten“ zwischen Exquisit und Delikat sowie den einfachen Kaufhallen. Westgeld hatten wir nicht.

           Jahre vor der Wende hatten wir einige Male Besuch von Verwandten meiner Mutter aus Baden-Württemberg. Das waren schöne Stunden des Beisammenseins. Wir aßen in den besseren Restaurants und selbstverständlich zahlte ich. Und tat das gerne. Kleinere Geschenke brachten sie mit, gaben uns aber kein Westgeld, was wir für richtig hielten. Was möglich war, konnten wir uns ja leisten.

         Ich muss nochmal etwas zum „Sozialismus“ anführen. Dessen Sieg konnte nicht mehr glaubhaft vermittelt werden. Es gab keine Antworten auf die zunehmenden Mängel bezüglich Reisefreiheit, Wartezeiten auf Autos, keine moderne Ton-, Fernseh- und Videotechnik. Unter der Hand erwarb ein Bekannter einen Videorekorder für einige tausend DDR-Mark von in der DDR arbeitenden Vietnamesen. Keine Digitaluhren, teure Taschenrechner!

 

Abkehr vom Sozialismus

           Anfangs der 1980er-Jahre war unser jüngerer Sohn auf abenteuerliche Weise in den Westen nach Baden-Württemberg gelangt. Für uns völlig unerwartet und schmerzlich. Dazu schreibe ich keine Einzelheiten! Nur so viel: Misslungener Grenzübergang über die CSSR, Gefängnis, vorzeitig entlassen in die BRD. Mit der Zeit verheilte diese Wunde und wir konnten uns mehrmals in der CSSR und in Ungarn treffen. Als meine Mutter im April 1989 verstarb, durfte er erstmalig einreisen. Einerseits schmerzte uns der Verlust eines über alles geliebten Menschen, zum anderen war da die Freude des Wiedersehens. Bei der Rückfahrt in den Westen wurde er von den DDR-Grenzern schlecht behandelt. Wegen einer Puppe aus dem Nachlass meiner Mutter musste er wieder zurück nach Netzschkau fahren, die Puppe zurücklassen und erneut in Richtung Westen starten. Dazu hatte er eine knappe Zeitvorgabe.

          Das schlug bei mir dem Fass den Boden aus und ich handelte schnell. Die Beerdigung war an einem Freitag. Am folgenden Montag erklärte ich meinen Austritt aus der Partei und der Kampfgruppe mit dem Angebot, mich vor einem von mir bestimmten Gremium zu meinen Gründen zu äußern. Dazu gehörte auch der Parteisekretär. Weder er noch die anderen anwesenden Parteimitglieder waren in der Lage, meine Argumente zu entkräften. Einer sagte sogar, er könne mich verstehen. Wie angedeutet, war die Behandlung meines Sohnes nur der Auslöser, die sachlichen Faktoren zur Lage des Sozialismus in der DDR habe ich weiter vorn bereits dargelegt. Ich bat weiterhin darum, mich als Geheimnisträger zu entlasten, was auch geschah. Was logisch folgte, war meine Ablösung als Gruppenleiter und stellvertrender

Abteilungsleiter und Einstufung als „einfacher“ Forschungsingenieur in einer niedrigeren Gehaltsstufe. Das hatte ich nicht anders erwartet, weitere Repressalien gab es nicht.

           Nun, wir kamen auch mit weniger Geld aus. Ich hatte damit die Gelegenheit, mich als unmittelbar Forschender zu beweisen, was mir auch gelang. Überwog doch bei Leitern das Administrative.

 

Herbst 1989 bis Frühjahr 1990

           Der Herbst 1989 rückte näher. Unser älterer Sohn hatte seit vier Jahren einen Ausreiseantrag laufen. Darüber ging seine Ehe in die Brüche. Im September 1989 durfte er ausreisen.

           Am 9. November 1989 sprach Schabowski den legendären Satz in etwa so: „Ich glaube, ja, das gilt ab sofort“, bezogen auf die Reisefreiheit. Was folgte, ist hinlänglich bekannt.

           Während meine Frau Spätschicht hatte, bekam ich zu Hause vorm Fernseher alles mit. An die „Folgen“ für die Familie dachte ich in diesen

Stunden noch nicht. Dafür sorgte bald meine Frau. Für Weihnachten und Silvester 1989 wurden wir nach Baden-Württemberg eingeladen, wo unsere Söhne bereits festen Fuß gefasst hatten.

           Die Bahnfahrt war ein Albtraum. Viele fuhren nur bis Hof, um das Begrüßungsgeld von 100 DM in Empfang zu nehmen. Dann wurde es ruhiger im Zug und wir hatten ausreichend Platz. Die Söhne holten uns vom Bahnhof ab und die Freude war riesig. Wir hatten schöne Tage vor uns, nur ich hatte anfangs Magenprobleme. Unsere Verwandten nahmen uns mit großer Herzlichkeit auf und sorgten dafür, dass wir einen guten Eindruck vom „Ländle“ erhielten.

          Im Schwarzwald hatte meine Frau eine Freundin, und natürlich kam auch von dort eine Einladung, die wir gerne annahmen. Es wurde ein großer Empfang, an dem auch die Brüder von Gertrud und deren Frauen beteiligt waren. Was Küche und Keller zu bieten hatten, wurde „aufgefahren“. Dort aß ich zum ersten Mal Schäufele. Die Vorliebe dafür hat sich bis heute gehalten. Silvester feierten wir in der Musikhalle Ludwigsburg. Wir waren von der Innenausstattung sehr angetan. Alles war wie ein schöner Traum. Die Tage vergingen wie im Flug.

           Nun, die Grenze war offen! Nahe Verwandte hatten wir in der DDR nicht mehr. Meine Frau drängte auf einen Umzug. Ich sah das nüchtern. Wohnung, Arbeit als notwendige Voraussetzungen – alles nicht so einfach. Doch im Grunde sah ich ein, dass die Familie zusammengehört. Aber kein vorschnelles Handeln, was man eventuell später bereut. Das Finden einer Arbeitsstelle für mich wurde kritischer gesehen als das für meine Frau – und das zu Recht. Das Ziel wurde von allen allerdings als Notwendigkeit empfunden. Bei einem weiteren Besuch sollte das Thema wieder aufgegriffen werden.

           Zurück in Dresden! Vom ersten Westgeld „leisteten“ wir uns eine Kurzreise nach Wien. Nachts hin, tagsüber in Wien, nachts zurück. Stadtrundfahrt, Innenstadt mit Stephansdom, Hundertwasserhaus und natürlich der Prater. Meine Frau ließ sich das Riesenrad nicht entgehen; leider bin ich nicht schwindelfrei. Früh nach der Ankunft in der Nähe des Doms hatten wir in einem typischen Fiakercafé Kaffee getrunken.

           In der Folgezeit ließ uns das Thema Umzug nicht mehr los. Die Söhne und Verwandten sollten vor allem auf Wohnungssuche gehen, was damals auch schon schwierig war. Bei weiteren Besuchen stand das Thema Arbeitsstellen im Fokus. Was daraus wurde und wie unser Leben im „Ländle“ bis heute ist, schreibe ich im zweiten Teil dieser Geschichte.



Teil 2


Stellen- und Wohnungssuche

           Die Stellensuche konzentrierte sich zunächst auf mich. Meine Frau wollte sich erst nach dem Umzug  um eine Arbeitsstelle kümmern. Gerne hätte ich eine Stelle gefunden, die meiner Ausbildung und meinen Erfahrungen entspricht. Also Rohrleitungsbau und Korrosionsschutz im weitesten Sinne. Anlässlich eines Kurzbesuchs sprachen mein Verwandter und ich beim Arbeitsamt Ludwigsburg vor. Leider lagen im benannten Bereich keine Anforderungen von Betrieben vor. Mir wurde eine Ausbildung zum Teilkonstrukteur und Übernahme durch den ausbildenden Betrieb vorgeschlagen. Leider musste ich dieses attraktive Angebot ablehnen, da mir dazu Grunderfahrung und Praxis fehlten. Die letzte technische Zeichnung hatte ich vor mehr als 30 Jahren gemacht. Und – ich wollte meinen Verwandten nicht enttäuschen, falls es schiefging. Ich suchte also mit meinen 50 Jahren eine Stelle mit geringstmöglichem Risiko. Ich schrieb etliche Bewerbungen, so auch an eine Lackfabrik.  

           Von dort wurde mir in einem sehr menschlichen Brief mitgeteilt, dass derzeit ein Verjüngungsprozess eingeleitet werde, in den ich altersmäßig nicht passe.

           Im Mai 1990 begann sich das Blatt zu wenden. Wir waren wieder in Benningen bei den Verwandten. An einem Sonntag sollte es zurück nach Dresden gehen. Am Samstag davor fiel mir die Anzeige einer Druckerei ins Auge. Sie suchten einen Korrektor. Nun, die Rechtschreibung war schon immer eine meiner starken Seiten. Kurzentschlossen fuhr mich ein Sohn zum Betrieb in Ludwigsburg. Zum Glück war ein Mitarbeiter auf dem Hof, der sogleich den anwesenden Chef informierte. Ich wurde auf den Montag verwiesen. Der Mitarbeiter gab mir noch die Telefonnummer des Kollegen, der für die Ausschreibung verantwortlich war. Den rief ich an und konnte einen Termin für den Montag vereinbaren. Die notwendige Urlaubsverlängerung um einen Tag war kein Problem.

           Das Vorstellungsgespräch verlief sehr positiv.  Angenehme Atmosphäre und ein freundlicher Gesprächspartner. Er stellte mir Branchenfremden auch Fachliteratur zur Verfügung, aus der ich mir  den Extrakt aufschrieb. Um das Ganze abzukürzen – es war noch ein weiterer Bewerber im Rennen. Die für mich positive Entscheidung fiel doch erst Anfang August 1990, nach dem Umzug. Bis dahin standen meine Frau und ich stark unter Spannung. So konnte ich am 20. August 1990 meine Arbeit als Korrektor aufnehmen.

           Die Arbeitssuche für meine Frau verlief weniger spannend. Nachdem das Angebot vom Arbeitsamt nicht das Richtige war, sprach meine Frau in einer Stefansbäck-Filiale im Zentrum von Ludwigsburg vor, wurde quasi vom Fleck weg eingestellt und nahm am 13. August 1990 in der Filiale im Kaufhaus Schöller ihre Arbeit auf. Dass sie gelernte Fachverkäuferin war, sprach für sie.

           Nun zur Wohnung. Unser älterer Sohn war bei der Suche in Benningen fündig geworden. Ein ihm bekanntes Ehepaar kam im Ländle nicht  zurecht und zog wieder in die alte Heimat. So konnten wir unseren Umzug für Ende Juli 1990 planen. Den Mietvertrag hatten wir bereits abgeschlossen. Meine Frau reiste voraus, um gemeinsam mit unserem älteren Sohn die Wohnung zu renovieren. Die Wohnung war groß genug, so dass unser Sohn als Zwischenlösung mit einziehen konnte. Er hatte bis dahin bei den Verwandten in Benningen gewohnt. Unser Sohn konnte als Fahrer einer LKW-Leerfahrt diese für den Umzug nutzen. So brauchten wir nur den Kraftstoff zu zahlen. Ich war noch in Dresden geblieben, um einiges für den Umzug vorzubereiten und die Sparbücher aufzulösen.

           Am 28. Juli 1990 war es dann soweit. Frau und Sohn kamen am Vortag mit dem LKW, dann wurde geladen und am nächsten Tag ging es gen Benningen. Die Nachbarn verfolgten die Ankunft mit Interesse. Einer brachte sogar Bier vorbei. Ein anderer fragte, ob ich schon Arbeit hätte. Er könne da eventuell etwas machen. Im Haus wohnten außer uns die Eltern des Vermieters und eine junge Familie. Wir bezogen den ersten Stock  mit einem schönen großen Wohnzimmer und Balkon.

 

Erste Eindrücke

           Wo wir auch hinkamen und mit wem wir auch sprachen, wir spürten keinerlei Vorbehalte uns gegenüber, die wir aus dem Osten

kamen. Das war übrigens beim Stefansbäck und der Druckerei genauso. War doch der erste Eindruck der einer anderen Welt, in der es alles im Überfluss gab. Benningen war damals reich an fast allen Einkaufsmöglichkeiten, was leider bis zur Gegenwart nicht so blieb. Das war günstig für uns, die wir weder Auto noch Führerschein hatten. Wir mussten Möbel nachkaufen und wurden wir vom Angebot der großen Möbelhäuser überwältigt. Die Getränkemärkte wirkten auf mich wie ein Schock ob der Menge und Vielfalt. Im Vergleich dazu hatte man in der DDR etwa fünf Prozent der Auswahlmöglichkeiten. Den Vogel schoss aber das Breuningerland ab. So etwas hatten wir bis dahin nicht gesehen. Verglichen mit der DDR kann man sagen: Planwirtschaft erzeugt Mangel, Marktwirtschaft Überfluss. Einschränkend muss man sagen, dass man auch Arbeit und Geld haben muss, um davon zu profitieren.

 

Vom Leben in Benningen

          Benningen ist ein nettes Dörfchen und expandiert im Wohnungsbau und im Industriebereich erheblich. Das war vor
27 Jahren in diesen
Größenordnungen noch nicht der Fall. Dafür gab es mehr Einkaufsmöglichkeiten als gegenwärtig. Wir stellten sehr spät

spät fest, dass wir mehr in Richtung größerer Städte tendieren, was wir Jahrzehnte gewohnt waren. In ein dörfliches Umfeld muss man geboren sein. Nun, wir wurden trotzdem in Benningen rasch heimisch. Durch unsere früheren Besuche bei den Verwandten konnten wir auch mit dem Dialekt etwas anfangen. Unsere Nachbarn waren ausnahmslos sehr nett, so dass man auch manchmal zusammensaß und sich gut unterhielt. Auch zu der jungen Familie im Erdgeschoss hatten wir gute Kontakte.

           Übrigens, die Miete teilten wir mit unserem Sohn.

           Zu den Eltern des Vermieters hatten wir keine besonders enge Bindung. Wir merkten sehr schnell, dass sie sehr hinter dem Geld her waren. Nun hat man ja nicht jeden Tag Hunderte DM im Haus, um am gleichen Tag, an dem die Rechnungen für Heizung und Wasser vorgelegt werden, sofort das Geld auf den Tisch zu legen. Schwamm drüber!

           In Benningen war häufig etwas los. Die Straßenfeste waren schon etwas Besonderes. Alle Vereine waren mit unterschiedlichen Angeboten beteiligt. Später kamen auch Weihnachtsmärkte auf. Das Heimatmuseum im ehemaligen Gasthof Adler wurde sehr sachkundig geführt und bot einen guten Einblick in die Geschichte Benningens. Beim TSV war ich häufig zu Spielen der Fußballer.

           Das Einkaufen ohne Auto war beschwerlich, da es zur Wohnung steil bergauf ging. Ich machte den Führerschein und bestand die Prüfungen auf Anhieb. Wir leisteten uns einen guten gebrauchten Audi. So war auch das Begleitproblem beim Einkaufen gelöst.

           Inzwischen waren wir auch im Freundes- und erweiterten Familienkreis unserer Verwandten aufgenommen worden und nahmen häufig an Zusammenkünften teil. Höhepunkt war immer die Kirbe mit Rückblickgedicht auf Ereignisse und Personen sowie die Sargverbrennung.

           Was die gesundheitliche Seite betraf, fand ich schnell einen guten Hausarzt. Ich kannte ihn schon von unserem Weihnachtsbesuch im Dezember 1989. Glück und Pech hatte ich mit einem Zahnarzt. Das Honorar für die Oberkieferprothese war vollkommen in Ordnung. Für den Unterkiefer bot er mir alternativlos eine Prothese für etwa
5000 DM an. Zu dem Zeitpunkt hatten wir das Auto noch nicht, so dass ich bemerkte, dass diese Ausgabe noch bevorstehe. Da meinte er, er hätte da noch einen alten VW. Das empfand ich als reinen Spott. Ich suchte mir eine Zahnarztpraxis in Ludwigsburg. Unter deren Regie bekam ich die Unterkieferprothese für 800 DM.

           Das Zusammenleben mit unserem älteren Sohn wurde zunehmend problematisch, sicher von beiden Seiten verursacht. Rückblickend meine ich, dass wir zu wenig dankbar waren, da er ja die Wohnung organisiert hatte. Ich merkte das an vielen seiner Äußerungen mit Hinweisen auf seine Rolle und seine Rechte. So entschlossen wir uns zum Aus- und Umzug und standen schon wieder unter Druck.

 

Leben in Ludwigsburg

          Wir zogen im Februar 1992 nach Ludwigsburg in eine gemütliche Dachgeschosswohnung. Da viel zu renovieren war, sagten wir einen 14-tägigen Tunesienurlaub ab. Die Wohnung war eindeutig wichtiger.

          Unser Sohn fand auch eine Wohnung und die familiäre Situation kam wieder in Ordnung. Darüber waren alle erleichtert und froh.

          Ludwigsburg hatte schon im Weihnachtsurlaub 1989 auf uns einen faszinierenden Eindruck gemacht, der sich jetzt verstärkte. Unsere Wohnung befand sich in der Weststadt. Sie lag so günstig, dass wir zu Fuß in 10 bis 15 Minuten die Innenstadt erreichen konnten. Wir erfreuten uns am barocken Ambiente und insbesondere am schönen Marktplatz, dem Eberhardbrunnen, den Schlösschen Monrepos und Favorite, doch nicht zuletzt am gewaltigen Schloss mit dem blühenden Barock.

           Auch die Einkaufsmöglichkeiten waren und sind breit gefächert und in großer Zahl vorhanden. Als damals positive Beispiele nenne ich den Kaufring Schöller in der Kirchstraße und das Marstall-Center, wo vor allem Karstadt glänzte.

          Die Methodistenkirche Friedrichstraße wurde für uns gläubige Christen vor allem an den Sonntagen zu einem Ruhepunkt, zur inneren Einkehr. Das Musikleben war in dieser Gemeinde außerordentlich stark entwickelt. Hin und wieder gab es Konzerte auf hohem musikalischem Niveau. Bei Veranstaltungen half meine Frau mit. Zum Pastor hatten wir ein gutes Verhältnis. Doch mit der Zeit kühlte sich alles merklich ab, was besonders meine Frau so empfand. Keine Ahnung, woran das lag. Jedenfalls wurden unsere Kirchgänge seltener.

          Zu Ludwigsburgs Geschichte wollten wir natürlich mehr erfahren. Wir nahmen an Stadtführungen teil, auch im Schloss Favorite. So erhielten wir interessante Informationen aus der Gründerzeit und den Jahren danach. Wenn wir Besuch hatten, besuchten wir auch diese Stätten und erfuhren auch selbst immer etwas Neues. Die Porzellanausstellung fanden wir sehr interessant und informativ.

          Das Verhältnis zur Familie unserer Vermieter wurde mit der Zeit kühler. Negativer Höhepunkt war eine gravierend hohe Mieterhöhung, deren Begründung wir nicht nachvollziehen konnten. Wir saßen der kompletten Familie gegenüber und es fehlte nur noch der Urteilsspruch. Meine Frau ging früher weg, nachdem wir der Erhöhung zähneknirschend zugestimmt hatten. Daraufhin wurde ich zu einem Schnäpschen eingeladen! Eine bodenlose Frechheit!



Erneute Wohnungssuche

          Ab diesem Zeitpunkt ging es erneut auf Wohnungssuche. Fündig wurden wir bei unseren Verwandten in Benningen. Diese nahmen den Umbau einer nicht mehr genutzten Werkstatt zu Wohnungen in Angriff. Eine der Wohnungen war so groß und schön, dass wir alles vergaßen und einzogen. Wir hätten schon stutzig werden müssen, als sie uns ein Mietverhältnis auf Lebenszeit verwehrten. Nun, in Benningen gab es nichts Neues. Ich mähte den Rasen der Vermieter, mit denen wir ja verwandt waren, und pflegte das Ehrenmal des TSV. Dem TSV trat ich als passives Mitglied bei. Höhepunkt in dieser Zeit waren die Feiern zum 100-jährigen Bestehen des TSV. 

          Später begannen wir trotz der sehr schönen Wohnung nachzudenken. Die Miete wurde grundlos erhöht und die Sicherheit, längerfristig dort zu wohnen, war nicht gegeben. Nach reiflichen Überlegungen entschlossen wir uns, nochmals eine Wohnung zu suchen und zwar in Ludwigsburg. Wir traten einer Baugenossenschaft bei. Innerhalb eines Jahres hatten wir eine Wohnung mit großem Balkon in Ludwigsburg. Die Miete war in Ordnung und die Sicherheit, nicht gekündigt zu werden, war gegeben. Zu Ludwigsburg mit seinen vielen Vorzügen habe ich mich schon geäußert. Die Stadt entwickelt sich immer weiter, wird noch schöner und attraktiver. Ein Glanzpunkt ist die vor einigen Jahren entstandene WilhelmGalerie. Auch das völlig umgestaltete MarstallCenter wird mit Sicherheit zum Publikumsmagnet. Allerdings ist der Standort nicht optimal.

 

Mein Arbeitsleben in Ludwigsburg

          In der Druckerei, einem Familienbetrieb, wurde ich vertrauensvoll empfangen. Ich war ja zweifach vorbelastet: Ich kam aus dem Osten und ich kam auch nicht aus der Branche! Umso erleichterter war ich von dem guten Empfang. Nach einer Woche Einarbeitung musste ich schon weitgehend selbständig arbeiten. Wir waren zwei Korrektoren im Früh- und Spätschichtdienst. Mein Kollege stammte aus Leipzig und war seit etwa einem Jahr in der Firma. Einige Tage arbeitete ich überlappend, was für die weitere Einarbeitung von Vorteil war. Nach kurzer Zeit verstanden wir uns blendend.

          Das Aufgabengebiet des Korrektors erstreckte sich vom Lesen der Manuskripte bis zur Prüfung der Druckplatten sowie eines Revisionsbogens aus der Druckmaschine. Wir trugen eine große Verantwortung. Nach der Freigabe des Revisionsbogens durch uns und der Farbeinstellung durch den Druckereileiter wurde gedruckt. Wir standen besonders zum Schichtbeginn ziemlich unter Druck, besonders der Korrektor der Frühschicht. Oft gab es Zettel aus der Spätschicht mit Bemerkungen hinsichtlich noch zu klärender Fragen. Alles musste schnell gehen, denn die Aufträge waren bereits in der Maschine. Nicht alle Probleme lagen in der Firma, sondern auch beim Auftraggeber oder bei der Firma, die in unserem Auftrag auftragsgebundene Druckplatten herstellte. Alles in allem bewegten sich „Fehlleistungen“ in engen Grenzen, was den guten Ruf unserer Firma rechtfertigte.

          Die soziale Seite der Firma stimmte auch. Gerne gingen wir zu den Weihnachtsfeiern und genossen, was Küche und Keller zu bieten hatten. Eine besondere Feier fand auf einem Ausflugsschiff auf dem Neckar statt, eine Jubiläumsfeier in einer der besten Gaststätten im Kreis Ludwigsburg.

          Ich bedaure sehr, dass die Firma Jahre nach meinem Ausscheiden insolvent wurde und auch der neue Investor wieder aufgab. Diese Firma gibt es nicht mehr.

          Neben meiner beschriebenen Hauptarbeit fand ich Gefallen an Nebenjobs, in denen ich auch gut zurechtkam: Bedienung von NC-Maschinen, Korrekturen lesen, Kuvertieren, Außendienst für einen Fensterbauer, Botendienst für Apotheken. Ich hatte ein erfülltes Arbeitsleben. Leider musste ich aus gesundheitlichen Gründen früher ausscheiden, was alle sehr bedauerten. Ein Essen, das ich meinen engsten Kolleginnen und Kollegen ausgab, war ein positiver Schlusspunkt.

 

Soziale Kontakte und Kultur

          Erst einmal war es für uns wichtig, dass die Familie in einem engen Umkreis wohnt. Das ist gut gelungen. Wir in Ludwigsburg, die Söhne in Marbach und Neckarrems. Das sind unsere wichtigsten sozialen Bindungen. Das ist nicht in jeder Familie selbstverständlich.

Regelmäßige Treffen gab es mit zwei ehemaligen Kollegen und deren Frauen. Sehr positiv sind auch die Kontakte zur Freundin meiner Frau, deren Mann sowie zu ihren Brüdern nebst Frauen im Schwarzwald. Nicht zu vergessen die Bekannte meiner Frau aus einer Kur. Hier gibt es reihum Treffen, ein- bis zweimal im Jahr. Aus Bekanntschaften im hiesigen Umfeld entwickelten sich keine engeren Bindungen.

           Kulturell waren wir sehr aktiv. Seit den 1990er Jahren besuchten wir in der Regel einmal im Jahr die Freilichtbühnen in Ötigheim, Jagsthausen und Bregenz. Das wurde kombiniert mit Sehenswürdigkeiten in der Umgebung der Spielorte. So sahen wir die Passionsspiele in Oberammergau, West Side Story in Bregenz, My fair Lady in Ötigheim sowie „Der eingebildete Kranke“ und „Arsen und Spitzenhäubchen“ in Jagsthausen. Später besuchten meine Frau und ich auch die Schlossfestspiele in Zwingenberg.  

Mich interessieren bis heute die Live-Übertragungen aus der MET im Kino. Hier sah ich u.a. „Madame Butterfly“. Wir besuchten auch die Friedenau und die Schwabenbühne.

           Wir wurden Zeuge von Ereignissen, die nicht in jedem Leben vorkommen: u.a. die Sonnenfinsternis, die Jahrtausendwende, drei Gesellschaftsordnungen und als absoluten Höhepunkt das Zustandekommen der deutschen Einheit. Erschütternd die Terrorangriffe auf das World Trade Center und das Pentagon.

 

Reisen

          Wir nutzten die gewonnene Reisefreiheit im Rahmen unserer Möglichkeiten. So führte uns die erste große Reise in die USA, Bundesstaat New Jersey. Wir hatten dort Verwandte, die in einer sehr komfortablen Seniorenwohnanlage ein Haus hatten. Wir sammelten unauslöschliche Eindrücke, waren wir doch auf dem World Trade Center in 410 Meter Höhe. Wir genossen das Strandleben am Atlantik, waren in Washington, Arlington und Atlantic City. Auf dem riesigen Militärfriedhof in Arlington besuchten wir das Grab von John F. Kennedy. In Washington imponierte uns das Lincoln-Memorial. Station machten wir auch in Gettysburg und besichtigten das riesige Schlachtfeld aus den Kriegen der Nordstaaten gegen die Südstaaten, ein imposantes Freilichtmuseum. In New York führte uns eine Schiffsfahrt rund um Manhattan.

           Wir machten weiterhin Busreisen in die Dolomiten, nach Regensburg, durch Italien einschließlich Sizilien u.a.m. Längere Urlaube genossen wir auf Mallorca, Formentera und den Kanaren.

           Wir haben das Reisen nicht übertrieben und bewegten uns immer im Rahmen unserer Möglichkeiten. Wir sind dankbar für alles, was wir uns leisten konnten. Auch in der Gewissheit, dass das nicht jedem vergönnt ist.

 

Krankheiten

           Bis in die siebziger Jahre blieben wir von Krankheiten weitgehend verschont. Dann wurde meine Frau erfolgreich am Unterleib operiert. Ich hatte Anfang der 1980er Jahre einen perforierten Appendix und wäre daran fast gestorben. In den frühen 1990er Jahren hatte ich zweimal einen Zwölffingerdarmdurchbruch.

           Zeitweise war ich nervlich anfällig und das trat in großen Abständen auf. Symptome waren Angst-und Panikattacken, mangelnde Selbstsicherheit u.a.m. Und das, obwohl wir keinerlei Sorgen hatten.

          Nun, zurzeit geht es aufwärts.

 

Resümee

            Wir leben jetzt im 28. Jahr in Baden-Württemberg und die meisten Jahre davon in Ludwigsburg. Hier sind wir gerne zu Hause und möchten das Flair nicht missen.

          Ich konnte in dieser Geschichte nichts Sensationelles erzählen. Wir sind eine ganz normale Familie. Doch, wir haben, wenn auch als Kinder, das dritte Reich erlebt und dann die komplette DDR. Jetzt leben wir lange im vereinten Deutschland mit seinen vielen Vorzügen und auch einigen Nachteilen. Zum Glück hatten wir Arbeit und damit auch Geld, um aus unserem Leben auch materiell etwas zu machen. Ich denke, dass uns das ganz gut gelungen ist. Nach meiner Überzeugung ist die soziale Marktwirtschaft das einzige System, in welchem die Vorteile überwiegen. Vorausgesetzt, man kann die Arbeitslosigkeit immer weiter reduzieren. Dann füllen sich alle Kassen.



Jürgen T., 2017
Titelbilder: Am Felsen. Mit dem Klassenlehrer.
Skiausfahrt mit dem Lehrmeister

Farbige Bilder: Eindrücke aus Netzschkau
Lektorat: Regina Boger